Alters­ab­bau ver­hin­dern

Der Abbau von Ske­lett­mus­kel­mas­se, die soge­nann­te Mus­kel­atro­phie, kann ver­schie­de­ne Ursa­chen haben: Unter- oder Fehl­ernäh­rung gehö­ren genau­so dazu wie hor­mo­nel­le Ein­flüs­se, gene­ti­sche Fak­to­ren, Krank­hei­ten und der dege­ne­ra­ti­ve Abbau durch das Altern. Von Letz­te­rem, der Sar­ko­pe­nie, ist jeder Mensch betrof­fen: Ab dem 30. Lebens­jahr kön­nen je nach Umstän­den drei bis acht Pro­zent Mus­kel­ab­bau pro Deka­de ver­zeich­net wer­den. Ein wei­te­rer häu­fi­ger Grund für den Mus­kel­ab­bau ist Inak­ti­vi­tät.

Das Pro­blem der Atro­phie, also dem Abbau der Mus­kel­mas­se ist, dass die­se zum einen an sich zur Gesund­heit bei­trägt, zum ande­ren, weil ein Abbau von Mus­kel­mas­se zur ein­ge­schränk­ten Funk­tio­na­li­tät die­ser führt, nament­lich Kraft zu pro­du­zie­ren und dadurch das Ske­lett zu bewe­gen. Doch dem kann ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den. Grund­le­gend gibt es dafür drei ver­schie­de­ne Ebe­nen, an denen ange­setzt wer­den kann: Training, Ernäh­rung und Lebens­stil.

Training stellt die effi­zi­en­tes­te Stra­te­gie dar, um dem Mus­kel- und Kraft­ver­lust ent­ge­gen­zu­wir­ken, unab­hän­gig von deren Ursa­chen. Dabei ist nur wenig Training nötig, um die aktu­el­le bezie­hungs­wei­se antrai­nier­te Mus­kel­mas­se, das Leis­tungs­ni­veau und ande­re, posi­ti­ve Effek­te des Kraft­trai­nings, wei­test­ge­hend zu erhal­ten. In jun­gen Jah­ren reicht hier­für bereits eine Trai­nings­ein­heit die Woche aus, bei älte­ren Men­schen ist ver­mut­lich mehr nötig, das heißt zwei bis drei Trai­nings­ein­hei­ten die Woche. Wich­tig für den Erhalt der Mus­kel­mas­se durch Kraft­trai­ning ist, das Volu­men und die Inten­si­tät auch bei redu­zier­ter Trai­nings­häu­fig­keit auf aktu­el­lem Sta­tus quo bei­zu­be­hal­ten. Wer­den neben der Trai­nings­häu­fig­keit auch noch wei­ter das Volu­men und/oder die Inten­si­tät redu­ziert, sind Ein­bu­ßen der Mus­kel­mas­se wahr­schein­lich. Gera­de im Alter ist es wich­tig, mit hohen Inten­si­tä­ten zu trai­nie­ren, um die Typ-II-Fasern zu erhal­ten, die im Alter stär­ker atro­phie­ren. Das geht am bes­ten mit zwei bis drei Trai­nings­ein­hei­ten die Woche und zwei Übun­gen pro Mus­kel­grup­pe zu je drei Sät­zen an fünf bis acht Wie­der­ho­lun­gen bei sub­ma­xi­ma­ler Aus­be­las­tung. Ein sol­ches Training kann außer­dem wir­kungs­voll neu­ro­na­le Dege­ne­ra­tio­nen auf­hal­ten, die im Alter neben der Mus­kel­atro­phie eben­falls zu funk­tio­nel­len Kraft­ein­bu­ßen füh­ren. Kraft­trai­ning trägt eben­so posi­tiv zur Selbst­wirk­sam­keits­er­war­tung bei, was gera­de für älte­re Men­schen wich­tig ist, um koor­di­na­ti­ve und mus­ku­lä­re Her­aus­for­de­run­gen mit der nöti­gen Selbst­si­cher­heit eigen­stän­dig anzu­neh­men.

All­tags­trans­fer und Aus­dau­er

Unab­hän­gig vom Alter sind Kon­ti­nui­tät und die rich­ti­ge Aus­füh­rung der Übun­gen im Training wich­tig. Die Übungs­wahl soll­te nicht nur auf gerä­te­ge­stütz­tes Kraft­trai­ning fal­len, son­dern gera­de auch im Alter koor­di­na­tiv anspruchs­vol­le Übun­gen ent­hal­ten, das heißt Frei­han­tel­übun­gen, sen­so­mo­to­ri­sches Training, Gleich­ge­wichts­trai­ning etc., was wirk­sam der Sturz­pro­phy­la­xe und der Hal­tungs­kon­trol­le dient. EMS-Training bie­tet zudem die Mög­lich­keit, der Atro­phie auch bei voll­stän­di­ger Immo­bi­li­tät ent­ge­gen­zu­wir­ken, wenn auch die Effek­te den kon­ven­tio­nel­len Metho­den weit unter­le­gen sind.

Neben Kraft­trai­ning ist eben­falls Aus­dau­er­trai­ning emp­feh­lens­wert, da auch die­ses posi­ti­ve Effek­te auf Stoff­wech­sel, Herz-Kreis­lauf-Sys­tem und Mus­kel­fa­sern vom Typ I hat. Aller­dings sind die Typ-I-Fasern zah­len­mä­ßig im Alter unver­än­dert im Ver­gleich zu jun­gen Per­so­nen – im Alter atro­phie­ren beson­ders die Typ-II-Fasern, wes­we­gen Kraft­trai­ning mit sei­nen hohen Inten­si­tä­ten die wohl effi­zi­en­tes­te Trai­nings­form zum Erhalt der Mus­kel­mas­se und damit ein­her­ge­hend der Mobi­li­tät und Auto­no­mie ist. Zudem ver­mag auch Kraft­trai­ning die Typ-I-Fasern zu inner­vie­ren und die­se zur Hyper­tro­phie anzu­re­gen. Aus­dau­er­trai­ning sti­mu­liert eben­falls, nicht so sehr wie Kraft­trai­ning, neu­ro­mus­ku­lä­re Funk­tio­nen, die für die funk­tio­nel­le Kraft­leis­tung mit­ver­ant­wort­lich sind.

Bei Inak­ti­vi­tät tra­gen nicht nur der ver­rin­ger­te Mus­kel­quer­schnitt, son­dern auch neu­ro­na­le Atro­phien zum Ver­lust der Kraft bei. Men­ta­les Training, bei dem der immo­bi­le Mus­kel wil­lent­lich mit dem gedank­li­chen Befehl ange­steu­ert wird, stark zu kon­tra­hie­ren – obschon er still­ge­legt ist und kei­ne ech­te Mus­kel­kon­trak­ti­on statt­fin­det –, ver­mag den Kraft­ver­lust und den Ver­lust der neu­ro­lo­gi­schen Ansteue­rung bei Immo­bi­li­tät um 50 Pro­zent zu redu­zie­ren.

Pro­te­in­rei­che Ernäh­rung

Kraft­trai­ning ver­mag außer­dem die Pro­te­in­syn­the­se in der Ske­lett­mus­ku­la­tur zu stei­gern. Die Pro­te­in­syn­the­se ist der Mecha­nis­mus, der zwi­schen Mus­kel­auf- oder ‑abbau ent­schei­det. Doch wer bei­spiels­wei­se wegen eines Kran­ken­haus­auf­ent­halts zur Inak­ti­vi­tät gezwun­gen ist, kann nicht trai­nie­ren, daher muss die Pro­te­in­syn­the­se anders sti­mu­liert wer­den. Dies kann durch eine bewuss­te Ernäh­rung geschehen.Eine pro­te­in­rei­che Ernäh­rung trägt wir­kungs­voll zum Mus­kel­er­halt bei, da die Net­to-Pro­te­in-Bilanz bei der Mus­kel­atro­phie eine Schlüs­sel­funk­ti­on inne­hat. Bei Immo­bi­li­tät kann die Pro­te­in­syn­the­se­ra­te des Mus­kel­ge­we­bes inner­halb von zehn Tagen um rund 30 Pro­zent zurück­ge­hen. Die­se Reduk­ti­on kann über die natür­li­che Ernäh­rung, aber auch mit­hil­fe von Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln – ins­be­son­de­re Pro­te­in­pul­ver – kos­ten­güns­tig und prak­ti­ka­bel auf­ge­hal­ten wer­den. Selbst bei Men­schen, die über 80 Jah­re alt sind, bereits unter Sar­ko­pe­nie lei­den und dadurch sehr inak­tiv sind, ver­mag eine geziel­te Sup­ple­men­ta­ti­on durch Eiweiß­prä­pa­ra­te den Abbau von Mus­kel­mas­se deut­lich zu ver­lang­sa­men.

Ins­ge­samt soll­ten Nicht-Sport­ler min­des­tens 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht am Tag zu sich neh­men, bes­ser wären jedoch 1–1,2 Gramm, wobei eini­ge Stu­di­en sogar noch wei­ter gehen und Emp­feh­lun­gen von bis zu 1,5 Gramm aus­spre­chen, was ins­be­son­de­re bei zusätz­li­chem Kraft­trai­ning sinn­voll erscheint. In einer Stu­die, in der 60-jäh­ri­ge Pro­ban­din­nen über sechs Mona­te hin­weg ein Kalo­rien­de­fi­zit auf­recht erhiel­ten und zehn Pro­zent Kör­per­ge­wicht ver­lo­ren, zeig­te sich, dass bereits eine leicht erhöh­te Eiweiß­zu­fuhr von 1,2 Gramm pro Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht die Mus­kel­mas­se im besag­tem Zeit­raum fast dop­pelt so gut vor Abbau zu schüt­zen ver­moch­te, ver­gli­chen mit 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht.

Das Eiweiß soll­te opti­ma­ler­wei­se auf meh­re­re Mahl­zei­ten über den Tag hin­weg ver­teilt wer­den, mit je 25–30 Gramm qua­li­ta­ti­ven Eiweiß, das heißt tie­ri­sches Eiweiß oder Eiweiß­kon­zen­trat. Dadurch soll­te jede Mahl­zeit min­des­tens 10 Gramm essen­zi­el­le Ami­no­säu­ren auf­wei­sen bezie­hungs­wei­se 3 Gramm der Ami­no­säu­re L‑Leucin beinhal­ten, was stark die Pro­te­in­syn­the­se sti­mu­liert. Gera­de auch unmit­tel­bar nach dem Kraft­trai­ning ist eine grö­ße­re Por­ti­on von bis zu 40 Gramm Eiweiß emp­feh­lens­wert.

Posi­ti­ve Ener­gie­bi­lanz

Neben Eiweiß ist auch die Gesamt­ka­lo­rien­men­ge wich­tig; sie soll­te nicht den Ener­gie­be­darf unter­schrei­ten, da sonst bei Inak­ti­vi­tät mit einem Ver­lust von fett­frei­er Mas­se zu rech­nen ist, ins­be­son­de­re bei inad­äquat tie­fer Pro­te­in­zu­fuhr. Eben­so soll­te die Kalo­rien­men­ge aber auch nicht die Erhal­tungs­ka­lo­rien stark über­schrei­ten, da eine Zunah­me von Kör­per­fett zu einem schnel­le­ren Abbau von Mus­kel­mas­se bei­trägt. Dem­nach sind dem Bewe­gungs­aus­maß ange­pass­te Erhal­tungs­ka­lo­rien am sinn­volls­ten. Wei­ter sei auf eine aus­rei­chen­de Ver­sor­gung durch Mikro­näh­stof­fe hin­ge­wie­sen.

Lebens­til

Ein akti­ver Lebens­stil kann eben­falls der Atro­phie ent­ge­gen­wir­ken. Ein Ver­lust der Mus­kel­mas­se vor dem 50. Lebens­jahr ist vor­wie­gend auf Inak­ti­vi­tät zurück­zu­füh­ren, danach tre­ten bio­lo­gi­sche Alte­rungs­pro­zes­se immer mehr in den Vor­der­grund. Wo Inak­ti­vi­tät den Mus­kel­ab­bau begüns­tigt, trägt das Gegen­teil davon zum Erhalt der Mus­kel­mas­se bei: Ein akti­ver Lebens­stil mit viel Bewe­gung – zum Bei­spiel Spa­zier­gän­ge, Gar­ten­ar­beit, Trep­pen­stei­gen statt Nut­zung des Fahr­stuhls, mor­gend­li­che Gym­nas­tik­übun­gen etc. – kann die Lebens­qua­li­tät spür­bar bis ins hohe Alter posi­tiv beein­flus­sen.

Durch einen akti­ven Lebens­stil wer­den beson­ders Mus­kel­fa­sern des Typs I erhal­ten, die für All­tags­an­for­de­run­gen benö­tigt wer­den. Wei­ter kann der Abnah­me der koor­di­na­ti­ven Qua­li­tät und der Fein­mo­to­rik durch Akti­vi­tä­ten wie bei­spiels­wei­se Musi­zie­ren oder Tan­zen effek­tiv ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den. Ein akti­ver Lebens­stil ver­hin­dert neben moto­ri­schen Ein­schrän­kun­gen auch psy­chi­sche Nega­tiv­kon­se­quen­zen der Immo­bi­li­tät, wie zum Bei­spiel Iso­la­ti­on, Depres­si­on, Abhän­gig­keit oder Schuld­ge­füh­le den Ange­hö­ri­gen gegen­über.

Da jedoch auch ab und zu schwe­re Las­ten getra­gen wer­den müs­sen, soll­te auf ein geziel­tes Mus­kel­kraft­trai­ning zum Auf­bau und Erhalt der Typ-II-Mus­kel­fa­sern auf kei­nen Fall ver­zich­tet wer­den: ob fünf Kilo­gramm getra­gen wer­den kön­nen oder 20 ent­schei­det dar­über, ob man selb­stän­dig Ein­kau­fen gehen kann oder nicht.

Wie schnell baut der Mus­kel wie­der auf?

Dies ist abhän­gig vom Kon­text und daher schwie­rig zu bezif­fern. In einer Stu­die mit Untrai­nier­ten konn­te nach nur 10 Tagen Inak­ti­vi­tät ein Kraft­ver­lust in einem immo­bi­li­sier­ten Bein von 13 Pro­zent gemes­sen wer­den. Die­ser Ver­lust konn­te jedoch bereits nach vier Tagen akti­ven Lebens­stils – Lau­fen und Bewe­gen – wie­der aus­ge­gli­chen wer­den.

Bei trai­nier­ten Per­so­nen, die inak­tiv wer­den, kann gera­de im Kon­text Kraft­trai­ning schnell wie­der das ursprüng­li­che Kraft- und Mus­kel­mas­se­ni­veau durch eine Wie­der­auf­nah­me des Trai­nings erreicht wer­den; Stich­wort „memo­ry effect“. Im höhe­ren Alter ist dafür ver­mut­lich etwas mehr Training nötig, um die glei­chen Zuwäch­se an Kraft- und Mus­kel­mas­se zu errei­chen. Trotz­dem kann selbst bei untrai­nier­ten Per­so­nen im Alter von 86 bis 96 Jah­ren, die jahr­zehn­te­lang kei­nen Sport mach­ten, ein Kraft­trai­ning zu bemer­kens­wer­ten Resul­ta­ten füh­ren: Inner­halb von acht Wochen Kraft­trai­ning sind Kraft­zu­wäch­se von bis zu 200 Pro­zent rea­li­sier­bar und Mus­kel­quer­schnitts­ver­grö­ße­run­gen von durch­schnitt­lich neun Pro­zent. Die­se Resul­ta­te mün­den in einer erhöh­ten Gang­ge­schwin­dig­keit von 48 Pro­zent und einer kon­ti­nu­ier­lich stei­gen­den Anzahl an zu bewäl­ti­gen­den Trep­pen­stu­fen.

Im Aus­dau­er­be­reich ist es auf­grund ande­rer Adap­tio­nen schwie­ri­ger, das alte Leis­tungs­ni­veau nach län­ge­ren Pha­sen der Inak­ti­vi­tät zu errei­chen, ins­be­son­de­re im Alter; bedingt durch bei­spiels­wei­se die Abnah­me der Mito­chon­dri­en­mas­se und deren Funk­ti­ons­fä­hig­keit. Doch es ist nicht unmög­lich, wie­der auf ein pas­sa­bles Niveau zu kom­men: Der Kör­per reagiert auch im Alter gut auf Trai­nings­rei­ze, ins­be­son­de­re dann, wenn die Ernäh­rung dazu adäquat ist.

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Qul­le: shape UP Vita 5/2022