„Core stability“ resultiert aus den Fähigkeiten, die Wirbelsäule unter Belastung in einer neutralen Position stabilisieren und kontrolliert bewegen zu können. Dafür ist eine enge neuromuskuläre Zusammenarbeit des lokalen und globalen Systems erforderlich. Somit ist jede Übung, bei der motorische Muster aktiviert werden, die eine stabile Wirbelsäule gewährleisten, eine Stabilisationsübung für die Wirbelsäule.
Wer kennt es nicht? Ob Alltagsathlet oder Spitzenathlet. Der Rücken zwickt. Training ist eine bewährte Maßnahme zur Prävention und Rehabilitation. Allein eine hohe Muskelaktivierung ist jedoch nicht ausreichend. Es bedarf zudem einer ausreichenden Muskelmasse. Wenn Muskulatur zwar stark aktiviert wird, deren Masse aber gering ist, dann kann dennoch keine hohe Kraft entwickelt werden.
Rückenschmerzen sind ähnlich einer Erkältung
Die meisten Menschen, etwa 80 Prozent, erfahren sie innerhalb ihres Lebens mindestens einmal. Ärzte können jedoch nur in etwa zehn Prozent der Fälle eine eindeutige Schmerzursache feststellen. Bei den restlichen 90 Prozent lautet die Diagnose „unspezifischer Rückenschmerz“. Dabei dauern die Symptome bei bis zu einem Drittel der Betroffenen mindestens drei Monate an. Sie werden dann als chronisch bezeichnet. Im erwerbsfähigen Alter betrifft dies rund 25 Prozent. Die Risikofaktoren sind vielfältig: konstitutionell bedingt (Genetik, Alter, Geschlecht); verhaltens- und umweltbedingt (sitzender oder bewegungsarmer Lebensstil, Rauchen, Übergewicht); berufsbedingt (hohe körperliche Belastungen wie häufiges Heben, wiederkehrende Dreh- und Beugebewegungen, ungünstige Haltungen); psychosozial bedingt (Unzufriedenheit, Stress, Angst, Depression).
Aus diesem Grund muss die Prävention und Behandlung von chronischen Rückenschmerzen interdisziplinär erfolgen – aus einer Kombination von unterschiedlichen Interventionen. Das Training der Rumpfmuskulatur zur Stabilisation der Wirbelsäule nimmt dabei jedoch eine besonders wichtige Rolle ein. Unzählige Studien der letzten Jahrzehnte kommen immer wieder zu diesem Ergebnis.
Lokales Training
Ab Mitte der 90er-Jahre etablierte sich durch die Untersuchungen von Hodges und Richardson verstärkt das sogenannte „core stability training“. Die Autoren erkannten bei Rückenschmerzpatienten eine verzögerte und reduzierte Aktivierung des M. transversus abdominis bei Armbewegungen. Sie nahmen an, dass dies zu einer Verminderung der muskulären Stabilisation der Wirbelsäule führt, mit verstärkt auftretenden Scher- und Rotationskräften, und somit ursächlich für Rückenschmerzen ist. Eine darauffolgende Studie zeigte, dass ein gezieltes isoliertes Ansteuerungstraining für den M. transversus abdominis zur unmittelbaren Rückbildung des Aktivierungsmusters führt, ähnlich dem von Menschen ohne Rückenschmerzen.
Im Bereich der Physiotherapie wird dadurch seit dieser Zeit der Fokus bei Rückenschmerzpatienten stark auf das isolierte Ansteuerungstraining gerichtet, insbesondere des M. transversus abdominis, aber auch weiterer Muskeln der tiefen Schicht, die zum lokalen System gehören. Das Ziel dabei ist, eine bessere Kontrolle der einzelnen Wirbelsäulensegmente und damit Stabilität zu erreichen, um Symptome zu reduzieren oder vollständig zu beseitigen. Dem lokalen System sind Muskeln zugeordnet, die ihren Ursprung und/oder Ansatz an der Wirbelsäule haben. Dagegen sind Muskeln des globalen Systems die, welche vom Becken entspringen und am Brustkorb ansetzen. Sie sind vorrangig Bewegungsmuskeln.
Globales Training
Lederman schrieb jedoch bereits 2010, dass die Klassifikation in lokales und globales System zwar anatomisch betrachtet sinnvoll sein kann, sie aber funktionell keine Bedeutung hat. Er führte dies auf Untersuchungen von beispielsweise Grenier und McGill, Vera-Garcia und Kollegen sowie Stanton und Kawchuk zurück. Diese zeigten, dass „bracing“ (starke Kokontraktion aller Bauch- und Rückenmuskeln) eine deutlich höhere Stabilität der Lendenwirbelsäule erzeugt als „hollowing“ (sanfte Kontraktion des M. transversus abdominis). Nach Wirth sollte demnach das „hollowing“ bei Rumpf- und beispielsweise auch bei komplexen Hantelübungen zumindest infrage gestellt oder sogar gänzlich eingestellt werden. Stattdessen sollte die gesamte Rumpfmuskulatur als funktionelle Einheit zur Stabilisation der Wirbelsäule betrachtet werden.
Der Vergleich
Sutanto und Kollegen veröffentlichten 2022 eine Metaanalyse, in der sie isoliertes Ansteuerungstraining der tief liegenden Rumpfmuskulatur des lokalen Systems (M. transversus abdominis, Mm. multifidi, Zwerchfell und Beckenboden) mit statischen und dynamischen Rumpfübungen verglichen, bei denen stark die oberflächlichen Rumpfmuskeln des globalen Systems involviert sind. Die Probanden waren im Alter zwischen 19 und 60 Jahren und litten an chronischen Rückenbeschwerden. Bei statischen Rumpfübungen wird die Wirbelsäule unter Belastung in ihrer neutralen Position stabilisiert (z. B. plank, bird-dog). Dagegen wird sie bei dynamischen Rumpfübungen unter Belastung über ein bestimmtes Ausmaß bewegt (z. B. cruch, back extension). Jede dieser Maßnahmen wurde zusätzlich mit einer Kontrollgruppe verglichen, die passive Behandlungen oder Placebo erhielten. Die Ergebnisse zeigten Folgendes:
Isoliertes Ansteuerungstraining und statisches Rumpftraining sind ähnlich effektiv zur Linderung von Rückenschmerzen sowie zur Verbesserung der daraus resultierenden eingeschränkten körperlichen Funktion. Statisches Rumpftraining steigert jedoch zusätzlich die Kraftausdauer, was die Wahrscheinlichkeit für künftiges Wiederauftreten des Rückenschmerzes reduziert. Die schmerzlindernde Wirkung ist im Alter von unter 40 Jahren stärker als im Alter von über 45 Jahren. Dagegen kommt es in beiden Altersgruppen zu vergleichbaren Funktionsverbesserungen.
Isoliertes Ansteuerungstraining und statischen Rumpftraining zeigen eine deutlichere Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung als passive Behandlungen oder Placebo.
Dynamisches Rumpftraining hat keinen bedeutenden Einfluss auf Schmerz und körperliche Funktion.
Durch isometrisches Rumpftraining kommt es häufig zur körperlichen Funktionsverbesserung, bevor die schmerzlindernde Wirkung eintritt. Beides ist in der Regel bereits nach vier bis sechs Wochen zu erwarten. Bei höheren Ausgangsschmerzen führt ein längerer Trainingszeitraum von mindestens acht Wochen zu guten Ergebnissen. Die Autoren der Metaanalyse nehmen an, dass dynamisches Rumpftraining in den einzelnen Studien mit einer höheren Wirbelsäulenbelastung einherging, welche für die untersuchten Probanden noch nicht gänzlich verträglich war, und deshalb keine bedeutende Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung erzielt werden konnte.
Diese Annahme stimmt mit der Erkenntnis von Wang und Kollegen überein. Sie zeigten in ihrer Metaanalyse, dass Rumpftraining, bei dem die Lendenwirbelsäule in einer neutralen Position stabilisiert werden muss, gerade in den ersten drei Monaten zur Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung überlegen ist. Nach sechs und zwölf Monaten ist jedoch kein Unterschied gegenüber einem allgemeinen Rumpftraining mit dynamischen Übungen erkennbar. Passend dazu schrieben McGill und Kollegen in einer ihrer Arbeiten: „Jede Übung, bei der motorische Muster aktiviert werden, die eine stabile Wirbelsäule gewährleisten, ist eine Stabilisationsübung.“ Und diese tragen in ihrer Summe maßgeblich zur Prävention und Rehabilitation von (chronischen) Rückenbeschwerden bei — bei Alltagsathleten und Spitzenathleten.
Abbildung: Maridav / shutterstock.com
Quelle: shape UP 2/2023