Lebens­lan­ge Power

Wie wird man alt, was macht uns zu vita­len und fit­ten Men­schen? Eine äußerst schlüs­si­ge Ant­wort dar­auf lau­tet: kör­per­li­che, die Mus­ku­la­tur stär­ken­de Akti­vi­tät. Bei ihr bestim­men Ein­stiegs­zeit­punkt und Dosis die Wir­kung. Die Lat­te liegt dabei zum Glück nicht all­zu hoch.

Prof. Ingo Fro­bö­se, Pro­fes­sor an der Deut­schen Sport­hoch­schu­le Köln, beschäf­tigt sich schon lan­ge mit der Fra­ge, wie es gelin­gen kann, bis ins hohe Alter gesund, vital und fit zu sein. Früh genug dar­auf hin­zu­ar­bei­ten, lohnt sich fast immer – unser Ver­hal­ten zwi­schen dem 20. und 40. Lebens­jahr legt den Grund­stein für die Qua­li­tät des Lebens­abends. Der Ein­fluss der Gene wird dabei ger­ne über­schätzt. Diver­se Stu­di­en bele­gen, dass Lebens­stil, Bewe­gung, Ernäh­rung und Co. mehr Ein­fluss auf unse­re Alters­per­for­mance haben, als das, was uns in die Wie­ge gelegt wird. Fro­bö­se weist dar­auf hin, dass Gene wahr­schein­lich zu höchs­tens sie­ben bis zehn Pro­zent die Lebens­er­war­tung beein­flus­sen. Die gro­ße Rest­mas­se ist vom indi­vi­du­el­len Lebens­stil beein­fluss­bar. Als Gesund­heits­pa­ra­me­ter gel­ten Nicht­rau­chen, Nor­mal­ge­wicht, regel­mä­ßi­ge Bewe­gung und eine aus­ge­wo­ge­ne Ernäh­rung. Sind drei die­ser vier wich­ti­gen Fak­to­ren für ein lan­ges Leben erfüllt, sinkt das indi­vi­du­el­le Krank­heits­ri­si­ko einer US-ame­ri­ka­ni­schen Stu­die zufol­ge um bis zu 50 Pro­zent.

Wie wird man 100?

Sucht man in der Welt nach über 100-Jäh­ri­gen in unter­schied­li­chen Kul­tu­ren, erge­ben sich vie­le Gemein­sam­kei­ten. Neben Bewe­gung und Ernäh­rung spie­len bei ihnen auch regel­mä­ßi­ge Rege­ne­ra­ti­on sowie Ent­span­nung, kom­bi­niert mit sozia­len Kon­tak­ten, Glück und Zufrie­den­heit, eine wich­ti­ge Rol­le. Ein nicht zu unter­schät­zen­der Fak­tor scheint dabei Hei­mat­ver­bun­den­heit zu sein. Die Hälf­te der über 100-Jäh­ri­gen woh­ne nicht wei­ter als 25 Kilo­me­ter von ihrem Geburts­ort ent­fernt, bemerkt Fro­bö­se.

Inak­ti­vi­tät macht schwab­be­lig

Unse­re Kör­per­sys­te­me arbei­ten mit der Zeit immer schlech­ter. Vie­le Men­schen beschleu­ni­gen durch zu wenig kör­per­li­che Akti­vi­tät den Ver­fall. Bei den Gelen­ken ver­rin­gern Knor­pel ab unge­fähr dem 30. Lebens­jahr ihre Fähig­keit, Was­ser zu bin­den und wer­den weni­ger elas­tisch. Dadurch sind die Kno­chen schlech­ter geschützt. Zudem kommt es spä­tes­tens zehn Jah­re spä­ter zu einem Miss­ver­hält­nis im Ab- und Auf­bau der Kno­chen­ma­trix. Die Kno­chen­dich­te redu­ziert sich dadurch schlei­chend. Das 30. Lebens­jahr ist auch für die Mus­ku­la­tur ein Signal­ge­ber. Ab die­sem Alter baut der Mensch bis zu ein Pro­zent Mus­keln jähr­lich ab. Sie wer­den dabei nach und nach in Fett umge­wan­delt. Ohne sport­li­che Akti­vi­tä­ten büßt ein Mensch bis zum 80. Lebens­jahr bis zu 40 Pro­zent sei­ner Mus­kel­mas­se ein, zwan­zig Jah­re spä­ter sind es schon 70 Pro­zent. Ver­läuft der alters­be­ding­te Mus­kel­schwund so schnell, dass er zu einer Gefahr wird, liegt eine eigen­stän­di­ge Erkran­kung vor. Die­se patho­lo­gi­sche Abnah­me von Mus­kel­mas­se und ‑kraft wird als Sar­ko­pe­nie bezeich­net.
Betrof­fe­ne, bei den über 75-Jäh­ri­gen sind es etwa zwi­schen 10 bis 20 Pro­zent, schei­tern dann bereits an ver­meint­lich ganz ein­fa­chen Din­gen – schon das Auf­ste­hen und Anzie­hen berei­ten Schwie­rig­kei­ten. Für das Vor­lie­gen einer Sar­ko­pe­nie gibt es zwei ein­fa­che Para­me­ter, die man an sich selbst tes­ten kann: 1. Für das Gehen von zehn Metern wer­den mehr als 12,5 Sekun­den benö­tigt. 2. Für das frei­hän­di­ge Auf­ste­hen von einem Stuhl, fünf­mal hin­ter­ein­an­der, braucht es mehr als 15 Sekun­den.

Zu gra­vie­ren­den Ein­schrän­kun­gen muss es aber in den aller­meis­ten Fäl­len gar nicht erst kom­men. Denn Wis­sen­schaft­ler haben her­aus­ge­fun­den, dass der Mus­kel­mas­sen­schwund eben nicht zwangs­läu­fig erfol­gen muss: Wir kön­nen gezielt dage­gen antrai­nie­ren. Je frü­her damit begon­nen wird, umso bes­ser. Ein Lebens­stil mit lebens­lan­gem, kör­per­li­chem Training wirkt pro­phy­lak­tisch. Und, wer ein­mal dabei ist, soll­te nicht auf­hö­ren, da sich Mus­kel­zel­len bis ins hohe Alter „anfi­xen“ las­sen. Posi­ti­ver Neben­ef­fekt: Trai­nier­te Senio­ren sind auch im Geist beweg­li­cher und lei­den sel­te­ner an Herz‑, Kreis­lauf- oder Stoff­wech­sel-Erkran­kun­gen. Auch ein spä­te­rer Trai­nings­be­ginn ist daher alle­mal sinn­voll, zielt er doch meist erfolg­reich dar­auf ab, ver­lo­ren geglaub­te Lebens­freu­de zurück­zu­ge­win­nen. Selbst über 90-Jäh­ri­ge kön­nen ihre Mus­kel­kraft noch merk­lich stär­ken. Klei­ner Wer­muts­trop­fen: Akut ver­lo­re­ne Mus­kel­mas­se kann nur sehr lang­sam wie­der­auf­ge­baut wer­den.

Wer trägt ein Sar­ko­pe­nie-Risi­ko?

War­um man­che Men­schen eine Sar­ko­pe­nie bekom­men und ande­re nicht, lässt sich heu­te noch nicht mit letz­ter Gewiss­heit sagen. Gene­ti­sche Ein­flüs­se, chro­ni­sche Ent­zün­dun­gen, Hor­mo­ne, Man­gel­er­näh­rung und der Ver­lust von Ner­ven­zel­len im Rücken­mark spie­len ziem­lich sicher eine Rol­le. Auf der Haben­sei­te ste­hen eine sport­li­che Lebens­wei­se, aus­ge­wo­ge­ne Ernäh­rung und das Aus­blei­ben ernst­haf­ter Erkran­kun­gen. Gemein­hin gilt Inak­ti­vi­tät als der größ­te Risi­ko­fak­tor.
Beob­ach­tun­gen an älte­ren Men­schen, die viel Zeit lie­gend ver­brin­gen, bestä­ti­gen dies. Ver­brin­gen gesun­de 80-Jäh­ri­ge zehn Tage mit Bett­ru­he, ver­lie­ren sie in die­ser Zeit auch zehn Pro­zent an Mus­kel­mas­se, 80-Jäh­ri­ge mit einer Krank­heit errei­chen die­sen Wert bereits nach drei Tagen. Zum Ver­gleich: Jün­ge­re Erwach­se­ne müss­ten 20 Wochen im Bett lie­gen, bis zehn Pro­zent Ver­lust ein­trä­ten.

Wil­le statt Pil­le

Sar­ko­pe­nie ist unter ande­rem des­halb pro­ble­ma­tisch, weil es bis­lang kei­ne Medi­zin gegen sie gibt. Eini­ge Sub­stan­zen sind zwar schon in der kli­ni­schen Ent­wick­lung, aber dem­entspre­chend auch noch nicht im Han­del erhält­lich. Als viel­ver­spre­chend gilt der Wirk­stoff Bimag­ru­mab, da er den Auf­bau der Ske­lett­mus­ku­la­tur und den Abbau des Kör­per­fetts för­dert. Zu den mög­li­chen Anwen­dungs­ge­bie­ten gehö­ren Mus­kel­er­kran­kun­gen und meta­bo­li­sche Stö­run­gen wie Dia­be­tes und Fett­lei­big­keit.
Da eine Medi­ka­ti­on noch auf sich war­ten lässt, gel­ten eine pro­te­in­hal­ti­ge Ernäh­rung in Kom­bi­na­ti­on mit Gleich­ge­wichts- und Mus­kel­trai­ning als der­zeit sinn­volls­te The­ra­pie­form. Für deren Umset­zung ist in den aller­meis­ten Fäl­len nur ein guter Wil­le Vor­aus­set­zung. Alles, was Kraft und Balan­ce för­dert, zählt. Schon mehr­mals hin­ter­ein­an­der von einem Stuhl auf­zu­ste­hen, bringt etwas. Wer es pro­fes­sio­nel­ler ange­hen möch­te, dem steht, zumin­dest in pan­de­mie­frei­en Zei­ten, ein rie­sen­gro­ßes Fit­ness­an­ge­bot zur Ver­fü­gung. Auch der Part mit der pro­te­in­hal­ti­gen Ernäh­rung ist recht unpro­ble­ma­tisch umzu­set­zen.

War­um Eiweiß?

Mus­keln kön­nen schlicht und ein­fach nur wach­sen, wenn sie mit Pro­te­inen ver­sorgt wer­den. Des­halb gehö­ren auf den täg­li­chen Spei­se­plan von Mus­kel­schwund­ge­fähr­de­ten pro­te­in­rei­che Lebens­mit­tel, die im Ide­al­fall viel von der Ami­no­säu­re Leu­cin ent­hal­ten. Leu­cin spielt für den Ener­gie­haus­halt im Mus­kel­ge­we­be ver­mut­lich eine zen­tra­le Rol­le und ist Bestand­teil tie­ri­schen und pflanz­li­chen Pro­te­ins.

Eine grund­sätz­li­che Emp­feh­lung lau­tet, dass jeder gesun­de Erwach­se­ne pro Kilo­gramm Kör­per­ge­wicht 0,8 Gramm Pro­te­ine täg­lich zu sich neh­men soll­te. Auf­grund ihrer schlech­te­ren Pro­te­in­ver­wer­tung steigt der Bedarf bei älte­ren Men­schen auf 1 bis 1,2 Gramm pro Tag. Hier kann die benö­tig­te Men­ge unter Umstän­den nur mit Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln erreicht wer­den. In den meis­ten Fäl­len geschieht dies mit­hil­fe von Pro­te­in­drinks.

Der Tod läuft lang­sam

Ein Plus an Bewe­gung hilft übri­gens nicht nur zur Vor­beu­gung und Bekämp­fung von Sar­ko­pe­nie. Sie hilft zudem, Lebens­zeit zu gewin­nen. Auch dazu gibt es etli­che Stu­di­en. Eine von ihnen beschäf­tigt sich mit der Geh­ge­schwin­dig­keit. Sie erschien 2011 in der Weih­nachts­aus­ga­be des Bri­tish Medi­cal Jour­nals (BMJ) unter einer Über­schrift, die über­setzt „Wie schnell geht der Sen­sen­mann?“ lau­tet. Die Unter­su­chung beleg­te, dass schon die Fähig­keit, ein mode­ra­tes Tem­po vor­zu­le­gen, ein Plus an Lebens­jah­ren bringt. Um zu die­sem Ergeb­nis zu gelan­gen, wer­te­ten Dani­je­la Gnji­dic und ihre Kol­le­gen von der Syd­ney Medi­cal School in Aus­tra­li­en Daten einer Kohor­ten-Stu­die mit 1.705 Män­nern im Alter von über 70 Jah­ren aus. Zur Zah­len­be­stim­mung wur­de mit dem soge­nann­ten You­den-Index gear­bei­tet. Die­ser beschreibt, wel­cher Schwel­len­wert am bes­ten geeig­net ist, um bei einer Mes­sung zwei Grup­pen von­ein­an­der unter­schei­den zu kön­nen. Im vor­lie­gen­den Fall lag die­se Zahl bei einem Lauf­pen­sum von unge­fähr drei Kilo­me­tern pro Stun­de. Wer schnel­ler unter­wegs war, hat­te ein 1,23-fach gerin­ge­res Ster­be­ri­si­ko als Men­schen, die den Grenz­wert nicht schaff­ten. Das Tem­po vom Sen­sen­mann liegt also bei unter 3 km/h, wer fixer ist, kann ihm recht gut ent­kom­men. Unter Pro­ban­den, die es gar auf etwa fünf Kilo­me­ter pro Stun­de brach­ten, wur­den im Unter­su­chungs­zeit­raum über­haupt kei­ne Todes­fäl­le regis­triert.

Je älter, des­to mehr

Wie auch immer man es dreht und wen­det, gilt: Je älter wir wer­den, umso mehr müs­sen wir tun. Posi­tiv betrach­tet heißt dies aber auch: Unser Orga­nis­mus ver­fügt über die Fähig­keit, sich selbst zu repa­rie­ren. Je frü­her wir uns um mög­li­che Schwach­stel­len küm­mern, umso siche­rer kön­nen wir sein, dass alle Bau­stei­ne für ein lan­ges Leben fest ver­an­kert blei­ben, bilan­ziert Pro­fes­sor Fro­bö­se.

Abbil­dung: Half­point / shutterstock.com
Quel­le: shape UP Fit­ness 3/2021