Natu­ral Run­ning

Bar­fuß­lau­fen ist die natür­lichs­te Form der mensch­li­chen Fort­be­we­gung. Vor 40.000 Jah­ren haben unse­re Vor­fah­ren zum Schutz vor Hit­ze die San­da­le ent­wi­ckelt. Anfangs nur für wohl­ha­ben­de Gesell­schafts­schich­ten erschwing­lich, wur­de der Schuh bald zum Sta­tus­sym­bol. Noch heu­te kann dar­über der Per­sön­lich­keit Aus­druck ver­lie­hen wer­den. Doch birgt der moder­ne Schuh auch Nach­tei­le für den mensch­li­chen Bewe­gungs­ap­pa­rat. Was ist dran an der Aus­sa­ge von Ido Por­tal: „High tech shoes = low tech foot?“. Regel­mä­ßi­ges, wohl­do­sier­tes Bar­fuß­lau­fen hat vie­le natür­li­che Vor­tei­le.

Füße sind die Basis, auf der wir durchs Leben gehen. In unse­ren Füßen befin­det sich rund ein Vier­tel der mensch­li­chen Kno­chen. Das Gerüst, wel­ches die Füße zusam­men­hält, kommt einem Meis­ter­werk der Natur gleich. Der Fuß besteht aus 26 Kno­chen, 27 Gelen­ken, 32 Mus­keln und Seh­nen, 107 Bän­dern und über 1.700 Ner­ven­enden.

Der Fuß lässt sich in drei Berei­che unter­tei­len: Im hin­te­ren Bereich befin­det sich die Fuß­wur­zel, die sich aus sie­ben Kno­chen zusam­men­setzt, unter ande­rem dem Fer­sen­bein (Cal­ca­neus) und dem Sprung­bein (Talus), wel­ches auf dem Fer­sen­bein auf­liegt. Das Fer­sen­bein ist für das Beu­gen der Mus­ku­la­tur im Unter­schen­kel ver­ant­wort­lich.
Der Bereich zwi­schen Fuß­wur­zel und Zehen wird als Mit­tel­fuß bezeich­net und besteht aus fünf Kno­chen. Mit sei­ner mehr­di­men­sio­na­len Wöl­bung federt er Erschüt­te­run­gen ab und lei­tet einen Teil des Kör­per­ge­wichts auf den Vor­fuß.
Den vor­de­ren Bereich bil­den die fünf Zehen. Die Groß­ze­he besteht aus zwei Kno­chen, die wei­te­ren vier Zehen aus jeweils drei Kno­chen. Der gro­ße Zeh hilft dabei, das Gleich­ge­wicht zu hal­ten und sich beim Gehen abzu­sto­ßen.

Die Fuß­wur­zel­kno­chen wei­sen zwei Gewöl­be auf: das Quer­ge­wöl­be im mitt­le­ren Fuß zwi­schen dem rech­ten und lin­ken Fuß­rand und das Längs­ge­wöl­be zwi­schen den Zehen und der Fer­se. Eine Viel­zahl von Mus­keln, Seh­nen und Bän­dern ist für die Auf­recht­erhal­tung der Gewöl­be zustän­dig. Mit die­sen natür­li­chen Stoß­dämp­fern kann unser Fuß beim Lau­fen den ent­ste­hen­den Kör­per­druck abfe­dern. Beim nor­ma­len Gehen wirkt das Vier- bis Fünf­fa­che des Kör­per­ge­wichts auf den Hin­ter­fuß, beim Jog­gen das Neun­fa­che. Wenn sich das Gewöl­be absenkt, kommt es zu bekann­ten Fuß­fehl­stel­lun­gen wie Senk‑, Platt- oder Spreiz­fuß. 

Spie­gel­bild des Kör­pers

Der Mensch hat fast 70.000 Ner­ven­zel­len an den Füßen. In der chi­ne­si­schen Medi­zin sind vie­le Anfangs- und End­punk­te von Ener­gie­bah­nen in den Füßen zu fin­den. Über die Füße las­sen sich Orga­ne und Mus­keln im Kör­per inner­vie­ren. Somit erge­ben sich durch die Sti­mu­lie­rung der Ner­ven­enden an den Fuß­soh­len posi­ti­ve Effek­te für den gesam­ten Kör­per. Eine Fuß­re­flex­zo­nen­mas­sa­ge kann Schmer­zen lin­dern, för­dert die Durch­blu­tung, regt die Funk­ti­on des ent­spre­chen­den Organs an und akti­viert die Selbst­hei­lungs­kräf­te des Kör­pers. 

Bar­fuß­lau­fen hat vie­le Vor­tei­le für die Fit­ness und Gesund­heit. Im Fit­ness­sport geht es pri­mär um die Erhal­tung und Stei­ge­rung der Gesund­heit, um sich im All­tag vital zu füh­len. Die­se Ziel­set­zung wird durch regel­mä­ßi­ges Bar­fuß­lau­fen und Fuß­trai­ning mit­tels fol­gen­der Fak­to­ren unter­stützt: 

Ver­bes­se­rung der Fuß­be­weg­lich­keit
Füße müs­sen sich ent­fal­ten kön­nen: „Use it or lose it.“ In unse­rer High­tech-Welt ist die Dämp­fung im Lauf­schuh nor­mal; doch Fuß­mus­ku­la­tur, die nicht genutzt wird, ver­küm­mert – davor warnt auch Ido Por­tal, israe­li­scher Bewe­gungs­trai­ner und Grün­der der Move­ment-Cul­tu­re. Durch regel­mä­ßi­ge Fuß­mo­bi­li­täts­übun­gen oder Trai­nings­ein­hei­ten ohne Schu­he kön­nen wir unse­re Fuß­mus­ku­la­tur gezielt auf­bau­en und stär­ken.

Ver­bes­se­rung der Sen­so­mo­to­rik
Durch Bar­fuß­lau­fen las­sen sich auf natür­li­che Art die Reflex­zo­nen im Fuß sti­mu­lie­ren. Dadurch wer­den die Sen­so­mo­to­rik sowie die Reak­ti­on auf Sin­nes­rei­ze wie Tem­pe­ra­tur, Druck und Vibra­ti­on geschult.Sensomotorik beschreibt das Zusam­men­spiel zwi­schen Reiz­auf­nah­me (Sen­so­rik) und Rei­z­ant­wort in Form von Bewe­gung (Moto­rik).

Ver­bes­se­rung der Durch­blu­tung und Stoff­wech­sel­pro­zes­se
Mehr bar­fuß zu lau­fen, för­dert die Durch­blu­tung und opti­miert die Sau­er­stoff­ver­sor­gung der Füße, lin­dert die Beschwer­den bei Venen­lei­den, Krampf­adern und deren Neu­bil­dung.

Ver­bes­se­rung der Kör­per­hal­tung
Durch einen fes­ten, sta­bi­len Stand, eine Ver­wur­ze­lung der Füße am Boden, kann sich der Kör­per bes­ser auf­rich­ten. In auf­rech­ter Hal­tung soll­ten Fer­sen, Waden, Gesäß, Brust­wir­bel­säu­le und Hin­ter­kopf im Lot über­ein­an­der­ste­hen. 

Ver­bes­se­rung des Kör­per­ge­fühls
Durch die Wahr­neh­mung des eige­nen Stan­des wird der Gleich­ge­wichts­sinn geschult. Balan­ce­hal­tun­gen und neu­es Bewe­gungs­vo­ka­bu­lar wer­den schnel­ler erlernt und das Kör­per­gleich­ge­wicht kann durch bewuss­tes Ansteu­ern der Fuß­mus­ku­la­tur und dabei mit­tels Kon­zen­tra­ti­on auf den Groß­zeh­bal­len leich­ter gehal­ten wer­den.

Ver­bes­se­rung der Pro­prio­zep­ti­on
Tast‑, Kraft- und Lage­sinn wer­den bar­fuß geschult. Der Kör­per hat eine bes­se­re Vor­stel­lung davon, wie die Stel­lung ein­zel­ner Kör­per­tei­le zuein­an­der ist, bei­spiels­wei­se des Fußes zum Unter­schen­kel, um ein Umkni­cken zu ver­mei­den. Pro­prio­zep­ti­on ist die Wahr­neh­mung von Kör­per­be­we­gung im Raum oder der Lage ein­zel­ner Kör­per­tei­le zuein­an­der.

Redu­zie­rung des Ver­let­zungs­ri­si­kos
„Ein gut gekräf­tig­ter Fuß ist die bes­te Ver­si­che­rung gegen Fer­sen­sporn und Achil­les­seh­nen­ent­zün­dun­gen“, erklärt Lauf­ex­per­te Dr. Mat­thi­as Mar­quard (5). Er ver­weist jedoch dar­auf, dass das Bar­fuß­lau­fen bei der ein­zel­nen Trai­nings­ein­heit nicht über­trie­ben wer­den soll­te. Eine Stu­die der US Army-Bay­lor Uni­ver­si­ty hat erge­ben, dass Läu­fer mit nor­ma­len Lauf­schu­hen bis zu vier­mal häu­fi­ger über Ver­let­zun­gen kla­gen als die­je­ni­gen, die bar­fuß oder mit Mini­mal­schu­hen lau­fen. 

Ver­bes­se­rung der Lauf­tech­nik
Wer bar­fuß läuft, setzt den Fuß natür­li­cher auf. Belas­tet wer­den dabei vor allem Vor­der- und Mit­tel­fuß, im Gegen­satz zur höhe­ren Belas­tung der Fer­sen bei Schuh­trä­gern. Das Auf­set­zen des Fußes im Bereich des Bal­lens ist wesent­lich scho­nen­der für die Gelen­ke. Der Bio­lo­ge Prof. Dani­el Lie­ber­mann von der Har­vard Uni­ver­si­ty in Bos­ton kommt nach sei­nen Unter­su­chun­gen zu dem Schluss, dass selbst das Bar­fuß­lau­fen auf har­ten Böden das Ver­let­zungs­ri­si­ko senkt. 

Gele­gent­lich bar­fuß trai­nie­ren

Das kann eine will­kom­me­ne Abwechs­lung im Trai­nings­all­tag mit vie­len Vor­tei­len für Kör­per, Geist und See­le sein. Es setzt spie­le­risch neue Rei­ze und macht Freu­de, da wir Bar­fuß­lau­fen oft mit Frei­heit und Unbe­schwert­heit aus der Kind­heit ver­bin­den. Ein posi­ti­ver Effekt für Fit­ness, Gesund­heit und den sport­li­chen Erfolg stellt sich nur dann ein, wenn der Trai­nie­ren­de das rich­ti­ge Maß fin­det. Wer hin und wie­der bar­fuß trai­niert, sorgt für einen gleich­mä­ßi­gen Mus­kel­auf­bau und ver­hin­dert eine Über­las­tung der Mus­ku­la­tur durch über­mä­ßi­ge Trai­nings­rei­ze. Der Fuß benö­tigt aber Zeit, um sich an die neu­en Anfor­de­run­gen anzu­pas­sen. Wich­tig ist es, stets auf den Kör­per zu hören, die Wahr­neh­mung zu schu­len und die eige­nen Füße wie­der bes­ser ken­nen­zu­ler­nen.

Abbil­dung: Jacob Lund / shutterstock.com
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