Sind tie­fe Knie­beu­gen schlecht?

Die Knie­beu­ge gehört für vie­le zum Trai­ning wie eine Zahn­bürs­te zum Zäh­ne­put­zen. Und das zu Recht. Es gibt kaum eine Übung, die gleich­zei­tig so vie­le ein­zel­ne Mus­keln und gan­ze und Mus­kel­grup­pen akti­viert wie die­se Bewe­gungs­form. Und doch wird sie immer wie­der dis­ku­tiert. Gera­de die tie­fe Knie­beu­ge wird häu­fig kri­tisch beäugt, weil sie gefähr­lich für die Gelen­ke sei. Ist da was dran?

Was ver­steht man unter einer tie­fen Knie­beu­ge?

Eines vor­ab: Eine tie­fe Knie­beu­ge ist eine Bewe­gungs­po­si­ti­on, die wir als Kin­der alle ein­mal beherrscht haben. Eigent­lich ist sie sogar eine Ruhe­po­si­ti­on für den Kör­per. Beob­ach­ten Sie ein­mal Kin­der und ihre Kör­per­hal­tung, die bei­spiels­wei­se mit Krei­de auf den Boden malen. Sie wer­den sehen, dass sie häu­fig in der tie­fen Knie­beu­ge ver­wei­len.

Von einer tie­fen Knie­beu­ge spricht man, wenn die Bewe­gung bis zum Maxi­mum des mög­li­chen Gelenk­win­kels aus­ge­führt wird, der phy­sio­lo­gisch bei unge­fähr 160 Grad liegt. Eine Beu­gung dar­über hin­aus wird vor allem durch die ein­set­zen­de Weich­teil­hem­mung durch die rück­sei­ti­ge Ober­schen­kel­mus­ku­la­tur und Waden­mus­ku­la­tur ver­hin­dert.

Nur maxi­mal 90 Grad Beu­gung?

Beim Trai­ning begeg­net einem jedoch immer wie­der die Ansa­ge, man sol­le Knie nicht wei­ter als 90 Grad beu­gen und sie hin­ter den Fuß­spit­zen hal­ten. Andern­falls käme es zu einer zu hohen und schä­di­gen­den Belas­tung. Ganz falsch ist die­se Aus­sa­ge nicht, sie betrach­tet aber nur das Knie. Es stimmt, dass die Knie­ge­len­ke am gerings­ten belas­tet wer­den, wenn die Knie­beu­ge maxi­mal par­al­lel aus­ge­führt wird – also wenn die Knie hin­ter den Fuß­spit­zen gehal­ten wer­den. Aber Unter­su­chung haben gezeigt: Bei einer sol­chen Aus­füh­rung stei­gen gleich­zei­tig die Scher­kräf­te im Becken­be­reich um fast das Hun­dert­fa­che. Und jetzt?

Um das Gan­ze noch bes­ser ein­ord­nen zu kön­nen, muss man sich ins­be­son­de­re die pas­si­ven Struk­tu­ren und deren Belas­tung anse­hen, die bei einer Knie­beu­ge betei­ligt sind. Allen vor­an sind das die Kreuz­bän­der, die Knie­schei­be, die Menis­ken sowie der Gelenk­knor­pel. Natür­lich soll­te man dabei die Mus­kel­ak­ti­vi­tät nie ganz außer Acht las­sen.

Belas­tung für die Kreuz­bän­der

Die Kreuz­bän­der sind eine häu­fig ver­letz­te Struk­tur bei Sport­lern, gera­de bei Spiel­sport­lern. Bei einer tie­fen Knie­beu­ge wer­den sie aber nur gering­fü­gig belas­tet. Die größ­ten Belas­tun­gen für das vor­de­re Kreuz­band (VKB) ent­ste­hen dem­nach in den ers­ten 30 Grad der Fle­xi­on und damit in der Anfangs­pha­se der Bewe­gung; dazu zählt auch die Neu­tral-Null-Stel­lung, also die Aus­gangs­stel­lung mit gestreck­tem Knie. Ab 60 Grad Fle­xi­on ver­rin­gert sich die Belas­tung dann signi­fi­kant und bleibt bis zum Errei­chen der End­stel­lung auf annä­hernd dem glei­chen Level. Erst bei einer Beu­gung über 150 Grad hin­aus steigt sie wie­der leicht an, bleibt aber immer noch unter­halb der phy­sio­lo­gi­schen Belast­bar­keits­gren­ze. Beim hin­te­ren Kreuz­band sieht es ganz ähn­lich aus: Hier liegt die abso­lu­te Belas­tungs­spit­ze zwi­schen 70 Grad und 100 Grad Beu­gung. Bei einer Bewe­gung dar­über hin­aus ver­rin­gert sich die Belas­tung bis hin zur End­po­si­ti­on, in der sie nur noch mini­mal vor­han­den ist.

Fazit: Bei gesun­den Per­so­nen ist eine Schä­di­gung der Kreuz­bän­der bei der tie­fen Knie­beu­ge nicht zu erwar­ten.

Belas­tung für die Knie­schei­be

Je tie­fer die Knie­beu­ge, des­to höher der Anpress­druck auf die Knie­schei­be und somit die Belas­tung auf den dahin­ter­lie­gen­den Knor­pel, heißt es. Das stimmt aber nur zum Teil. Zwar steigt der Druck auf die Knie­schei­be, je wei­ter das Knie gebeugt wird und erreicht bei etwa 100 Grad sei­nen Höhe­punkt, anschlie­ßend bleibt er aber nahe­zu unver­än­dert. Es ist aber auch so, dass sich bei fort­schrei­ten­der Beu­gung die Kon­takt­flä­che zwi­schen Knie­schei­be und Gelenk­knor­pel ver­gößert. Das heißt, der Druck ver­teilt sich auf eine grö­ße­re Flä­che, ein wei­te­rer Anstieg wird so ver­hin­dert. Und dann kommt es noch zum soge­nann­ten „Umwick­lungs­ef­fekt“ nach Goy­mann. Die­ser besagt, dass mit zuneh­men­der Beu­gung die Knie­schei­be ihre Posi­ti­on leicht ver­än­dert; die umlie­gen­den Struk­tu­ren neh­men dadurch einen Teil der Druck­be­las­tung von der Knor­pel­flä­che.

Fazit: Auch für die Knie­schei­ben und ihre Knor­pel sind bei gesun­den Per­so­nen bei der tie­fen Knie­beu­ge kei­ne Schä­den zu erwar­ten.

Belas­tung für Gelenk­knor­pel und Menis­ken

Neben dem Anpress­druck auf die Knie­schei­be steigt auch der Druck auf die Gelenk­flä­chen von Ober­schen­kel­kno­chen und Schien­bein an, je tie­fer man die Knie­beu­ge aus­führt. Kon­kret sind zum einen der Gelenk­knor­pel des Knies, zum ande­ren die Menis­ken betrof­fen. Noch immer geht man vor allem im Fit­ness­be­reich davon aus, dass eine tie­fe Beu­ge­be­las­tung die­se Struk­tu­ren auf Dau­er über­mä­ßig for­dert und letz­ten Endes schä­digt. Eine Meta­stu­die aus dem Jahr 2013 hat aber gezeigt, dass dem nicht so ist. Es fan­den sich sogar Hin­wei­se dar­auf, dass der­ar­ti­ge Belas­tun­gen viel­mehr einen Anpas­sungs- und Wachs­tums­reiz auf Knor­pel und Menis­ken aus­üben. Ent­spre­chend waren sowohl die unter­such­ten Gelenk­knor­pel als auch die Menis­ken von Gewicht­he­bern aus dem Ama­teur- und Pro­fi­be­reich dicker und damit mecha­nisch stär­ker belast­bar als bei Nicht­sport­lern.

Fazit: Eine tie­fe Knie­beu­ge scheint eher eine Anpas­sungs­re­ak­ti­on bei Knie­ge­lenks­knor­pel und Menis­ken aus­zu­lö­sen, als sie zu schä­di­gen.

Belas­tung der Mus­ku­la­tur

Auch die Mus­ku­la­tur wird wäh­rend der tie­fen Knie­beu­ge anders und in den meis­ten Fäl­len stär­ker belas­tet als bei einer Knie­beu­ge mit maxi­mal 90 Grad Beu­gung. Eine erhöh­te Akti­vi­tät ist ins­be­son­de­re in der Gesäß­mus­ku­la­tur mess­bar. Bezo­gen auf den Quadri­ceps , also den vier­köp­fi­gen Ober­schen­kel­mus­kel, gehen die Mei­nun­gen aus­ein­an­der, aller­dings ist ein Trend erkenn­bar: Die Mehr­zahl der Stu­di­en fand signi­fi­kan­te Unter­schie­de zuguns­ten einer erhöh­ten Akti­vi­tät des M. quadri­ceps femo­ris. Laut ande­ren weni­gen Stu­di­en ist dage­gen kei­ne erwäh­nens­wer­te Akti­vi­täts­stei­ge­rung fest­zu­stel­len. Zu ver­nach­läs­si­gen sind dage­gen die rück­sei­ti­ge Ober­schen­kel- und die Waden­mus­ku­la­tur: Hier fin­det sich nach über­ein­stim­men­den Ergeb­nis­sen kei­ne gestei­ger­te Akti­vi­tät bei tie­fen gegen­über nor­ma­len Knie­beu­gen.

Fazit: Es gibt Anzei­chen, die dar­auf hin­deu­ten, dass tie­fe Knie­beu­gen eine erhöh­te Akti­vi­tät bestimm­ter Mus­kel­grup­pen pro­vo­zie­ren.

Die tie­fe Knie­beu­ge ist, wie ein­gangs gesagt, ein Grund­be­we­gungs­mus­ter, das unser Kör­per beherr­schen soll­te und das wir als Kind in der Regel auch beherrscht haben. Schon vie­le Jugend­li­che kön­nen sie aber nicht mehr aus­füh­ren, auch mit zuneh­men­dem Alter wird das meist nicht bes­ser. Bewe­gungs­man­gel, Fehl­hal­tun­gen, aber auch kraft­in­ten­si­ves und beweg­lich­keits­ein­schrän­ken­des Sport­trei­ben füh­ren zu Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen, gera­de im obe­ren Sprung­ge­lenk und in der Hüf­te.

Wer lan­ge kei­ne tie­fe Knie­beu­ge mehr aus­ge­führt hat, soll­te sei­nen Kör­per lang­sam wie­der an die Bewe­gung her­an­füh­ren und sein Trai­ning pro­gres­siv stei­gern. Dabei kann man ruhig mit Hilfs­mit­teln wie Gum­mi­bän­dern oder Stan­gen arbei­ten, die Halt geben, wäh­rend man in die tie­fe Hocke geht, und so ein Umkip­pen nach hin­ten ver­hin­dern. Hat der Trai­nie­ren­de Knie­pro­ble­me oder Knie­schmer­zen, muss unbe­dingt die Ursa­che abge­klärt wer­den, bevor tie­fe Knie­beu­gen in den Trai­nings­plan auf­ge­nom­men wer­den.

Hin­weis: Die­ser Arti­kel wur­de von der Redak­ti­on auf Basis des Fach­bei­trags „Die tie­fe Knie­beu­ge – sinn­voll oder gefähr­lich?“ von Tho­mas Cols­horn erstellt, der in der Leis­tungs­lust – Fach­zeit­schrift für Sport- und Fit­ness­trai­ner erschie­nen ist (Aus­ga­be 03/2016).

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Abbil­dung: Maik Kern; www.maik-kern.de