Stress less – Training mit Harn­in­kon­ti­nenz

Sport und Bla­sen­schwä­che – das The­ma ist rele­van­ter, als wohl gemein­hin ver­mu­tet wird. In einer Dis­zi­plin wird die Zahl der Fäl­le sogar auf kaum zu glau­ben­de 80 Pro­zent geschätzt.

Bla­sen­schwä­che, fach­li­che Bezeich­nung „Harn­in­kon­ti­nenz“, gibt es in ver­schie­de­nen Arten. Am häu­figs­ten ver­tre­ten ist die Belas­tungs­in­kon­ti­nenz. Sie macht bei bei­den Geschlech­tern etwa die Hälf­te der Vor­komm­nis­se aus. Zugleich ist sie auch die Inkon­ti­nenz­art, die durch Sport am beein­fluss­bars­ten ist. Und das sowohl in nega­ti­ver wie auch in posi­ti­ver Hin­sicht. Inkon­ti­nenz ist mehr­heit­lich ein Frau­en­pro­blem. Sie sind ver­mut­lich etwa drei­mal häu­fi­ger betrof­fen als Män­ner: Da die Hemm­schwel­le, sich zu dem The­ma zu äußern, hoch ist, kann die Zahl nur geschätzt wer­den. Das gilt auch für die Gesamt­zahl der Betrof­fe­nen – dass bei­na­he jede drit­te Frau in Deutsch­land unter Harn­in­kon­ti­nenz lei­det, wird für mög­lich gehal­ten. Ursa­chen für die weib­li­che Domi­nanz bei die­sem The­ma sind hor­mo­nel­ler Art und auch die im Ver­gleich zum Mann voll­kom­men anders auf­ge­bau­te Becken­bo­den­mus­ku­la­tur spielt eine wich­ti­ge Rol­le. Die­se muss sich beim Geburts­vor­gang extrem wei­ten kön­nen und ist des­halb zu einem grö­ße­ren Teil von Bin­de­ge­we­be durch­wach­sen.

Was pas­siert bei Belas­tungs­in­kon­ti­nenz?

Die auch als Stres­sin­kon­ti­nenz bekann­te Erkran­kung macht sich – nomen est omen – beson­ders bei kör­per­li­cher Belas­tung bemerk­bar. Rele­vant ist eine Belas­tung immer dann, wenn sie bio­me­cha­ni­scher Art ist. Aus­lö­ser sind Akti­vi­tä­ten unter­schied­lichs­ter Art, schon ein ein­fa­ches Nie­sen kann zum Pro­blem wer­den. Auch gewis­se sport­li­che Betä­ti­gun­gen erhö­hen das Risi­ko. Ist die Belas­tung im Sin­ne der Krank­heit rele­vant, erhöht sie den Druck im Bauch­raum und damit auch den auf die Bla­se. Der geschwäch­te Bla­sen­ver­schluss­ap­pa­rat des Becken­bo­dens kann dem irgend­wann nicht mehr genug Wider­stand ent­ge­gen­set­zen und es kommt zu unwill­kür­li­chen Urin­ver­lust ohne spür­ba­ren Harn­drang.

Wann ist Sport pro­ble­ma­tisch?

Ursa­che Num­mer eins ist zu inten­si­ves Training. Dazu soll­ten man wis­sen, dass die durch Sport ver­ur­sach­ten unge­woll­ten Harn­ver­lus­te häu­fig Frau­en pas­sie­ren, die aus gynä­ko­lo­gi­scher und uro­lo­gi­scher Sicht gesund sind, es liegt also kei­ne Becken­bo­den- oder Bla­sen­sen­kung vor, kei­ne hyper­ak­ti­ve Bla­se. Die Über­be­an­spru­chung löst die Sym­pto­me aus, wür­den die Frau­en nicht in der vor­han­de­nen Inten­si­tät trai­nie­ren, wären sie kon­ti­nent. Auch die Sport­art spielt natür­lich eine Rol­le. Läu­fe­rin­nen, ins­be­son­de­re auf der Lang­stre­cke haben häu­fig mit dem Phä­no­men zu kämp­fen. Gefahr droht auch, wo viel gesprun­gen wird und wo hohe Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te herr­schen. Ein har­ter Unter­grund ist dabei nicht das Pro­blem. Eigent­lich braucht der Kör­per sogar einen gewis­sen Wider­stand, damit die Becken­bo­den­mus­ku­la­tur unter Span­nung kommt und der Kon­ti­nenz­me­cha­nis­mus gestärkt wird. Pro­ble­me erge­ben sich dage­gen bei nach­ge­ben­dem Unter­grund, weil der Kör­per nicht weiß, wann er kon­tra­hie­ren soll. Ein Para­de­bei­spiel ist das Tram­po­lin­sprin­gen. In der Sport­wis­sen­schaft kur­siert die Zahl von 80 Pro­zent Sport­le­rin­nen, die dabei unge­wollt Urin abge­ben.

Was macht inten­si­ve Akti­vi­tät so gefähr­lich?

Gera­de im natur­ge­mäß hoch­in­ten­si­ven Leis­tungs­sport sind vie­le Ath­le­tin­nen mit dem Pro­blem kon­fron­tiert. Dar­über wird aber so gut wie nie berich­tet, weil das „Mal­heur“ scham­haft ver­schwie­gen wird. Doch wer sich nicht äußert, dem kann auch nicht gehol­fen wer­den: Man­che lei­den jah­re­lang unter einem lös­ba­ren Pro­blem, nur weil nie­mand dar­über spre­chen will. Gera­de Phy­sio­the­ra­pie könn­te oft gute Diens­te leis­ten, wobei aller­dings ein­zu­räu­men ist, dass es zu weni­ge Spe­zia­lis­ten in Deutsch­land gibt, die ihren Fokus auf die Inkon­ti­nenz­the­ma­tik legen. Neben der Nicht­in­an­spruch­nah­me bezie­hungs­wei­se dem Feh­len pro­fes­sio­nel­ler Unter­stüt­zung ist star­kes Unter­ge­wicht ein wei­te­rer häu­fi­ger Grund für die Bla­sen­schwä­che hart trai­nie­ren­der Frau­en. Ein zu nied­ri­ger Body-Mass-Index, oft ver­ur­sacht durch inne­ren sowie äuße­ren Leis­tungs- und Erfolgs­druck, geht oft mit einer geschwäch­ten Becken­bo­den­mus­ku­la­tur ein­her. Als beson­ders „toxisch“ gilt die Kom­bi­na­ti­on aus zu wenig Gewicht, über­trie­be­nem Training und Ver­nach­läs­si­gung der Becken­bo­den­mus­ku­la­tur.

Was hilft?

Zunächst soll­ten Übun­gen zur Stär­kung der Becken­bo­den­mus­ku­la­tur in den Trai­nings­plan inte­griert wer­den, aktu­el­le Stu­di­en deu­ten zudem dar­auf hin, dass die­se die all­ge­mei­ne sport­li­che Leis­tungs­fä­hig­keit erhö­hen. Sport­trei­ben­den ist außer­dem anzu­ra­ten, den Stress zu redu­zie­ren und nicht zu viel Druck an sich her­an­zu­las­sen. Das in Sachen Bla­sen­schwä­che all­ge­mein ver­schrie­ne Jog­gen kann gute Reak­tio­nen der Becken­bo­den­mus­ku­la­tur her­vor­ru­fen, wenn es nicht über­trie­ben wird. Das Aus­wei­chen auf eher unbe­denk­li­che Sport­ar­ten nützt dage­gen wenig. Wer bei­spiels­wei­se nur schwimmt, macht zwar nichts, was scha­det, der Becken­bo­den­mus­ku­la­tur nutzt die Bewe­gung im Was­ser aber auch in kei­ner Wei­se. Gut ist die Trai­nings­in­ten­si­tät und deren Stei­ge­rung sowie die Erho­lungs­pau­sen zu beob­ach­ten und zu opti­mie­ren. Unbe­dingt dar­auf zu ach­ten ist, dass das Training nicht abrupt umge­stellt wird. Jede plötz­li­che Ver­än­de­rung kann Pro­ble­me ver­ur­sa­chen, weil dem Kör­per nicht genug Zeit gege­ben wird, mit den Her­aus­for­de­run­gen mit­zu­wach­sen. Höhe­re Belas­tun­gen soll­ten immer schritt­wei­se und ver­gleichs­wei­se lang­sam ange­gan­gen wer­den.

Wie sieht es mit dem Fit­ness­trai­ning aus?

Bei Übungs­ar­ten, in denen Sprung­ele­men­te vor­kom­men oder Ein­hei­ten, die hoch­in­ten­siv sind, ist Vor­sicht gebo­ten. Group­fit­ness mit tän­ze­ri­schen Ele­men­ten wie Aero­bic oder HIIT sind daher eher nicht ange­ra­ten. Auch Trai­nings­for­men, bei denen die Bauch­mus­ku­la­tur ange­spannt wird, kön­nen einen Druck erzeu­gen, der sich auf die Bla­se über­trägt. Ein­hei­ten zur Stär­kung der Bauch­mus­keln kön­nen hin­ge­gen gut tun, da eine trai­nier­te Mus­ku­la­tur der Kör­per­mit­te einen vor­beu­gen­den Effekt hat. Sit-ups und Crun­ches sind dabei zu ver­mei­den, weil der Bewe­gungs­ver­lauf uner­wünsch­ten Druck auf den Unter­leib aus­löst. Statt­des­sen emp­feh­len sich Ein­hei­ten zur Stär­kung der seit­li­chen, schrä­gen Bauch­mus­keln. Dies kön­nen zum Bei­spiel dyna­mi­sche oder sta­ti­sche Plank-Vari­an­ten sein, also Unter­arm­stütz-Übun­gen mit oder ohne Zusatz­be­we­gung. Dass Becken­bo­den­trai­ning hel­fen kann, wur­de bereits ange­deu­tet, denn es kräf­tigt die Unter­leibs­mus­ku­la­tur im Bereich des Beckens und des Damms. Auch Atem­übun­gen sind einen Ver­such wert – sie sor­gen idea­ler­wei­se für ein gesun­des Zusam­men­spiel zwi­schen Zwerch­fell und Bauch­mus­keln.

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Quel­le: shape UP Vita 1/2022