Über­säue­rung – Ja oder Nein?

Auf die Fra­ge, ob es zu der viel dis­ku­tier­ten Über­säue­rung des Kör­pers kom­men kann, haben Exper­ten kon­trä­re Mei­nun­gen. Die kli­ni­schen Medi­zi­ner sagen über­wie­gend nein, wäh­rend Ganz­heits­me­di­zi­ner in ihr ein Haupt­pro­blem vie­ler chro­ni­scher Erkran­kun­gen sehen. shape UP prä­sen­tiert die gegen­sätz­li­chen Auf­fas­sun­gen.

Übersäuerung – Ja oder Nein? / Abbildung: hamidisc / shutterstock.com

Die schul­me­di­zi­ni­sche Sicht

Ver­tre­ten wird die Schul­me­di­zin an die­ser Stel­le durch Pro­fes­sor Dr. Andre­as Pfeif­fer vom Deut­schen Zen­trum für Ernäh­rungs­for­schung. Wir fas­sen Aus­sa­gen aus einem Inter­view mit ihm zusam­men. Pfeif­fer wider­spricht der The­se, dass vie­le Men­schen über­säu­ert sind, denn wir sei­en sehr wohl dazu in der Lage, unse­ren Säu­re-Basen-Haus­halt mit­hil­fe zwei­er Sys­te­me sehr genau zu regeln. Näm­lich durch die Lun­ge und den Stoff­wech­sel.

Beim Stoff­wech­sel kommt es dabei vor allem auf die Nie­ren an, denn sie sor­gen dafür, dass über die Nah­rung auf­ge­nom­me­ne Säu­re aus­ge­schie­den wird. Es gebe aller­dings „ech­te“ chro­ni­sche Über­säue­run­gen (Azi­do­sen), die zu einer Nie­ren­ver­kal­kung füh­ren kön­nen. Über die Lun­ge wird Säu­re qua­si abge­at­met, was das Blut alkalischer/basischer macht. Volks­tüm­lich aus­ge­drückt ist alka­lisch der gute „Gegen­spie­ler“ zu säu­re­hal­tig. Dabei ent­schei­det der soge­nann­te pH-Wert über „basisch“ oder „sau­er“. Ein Wert von 7,0 (der des Was­sers) gilt als neu­tral, alles dar­un­ter als „sau­er“, alles dar­über als „basisch“. Der durch­schnitt­li­che pH-Wert des Blu­tes liegt bei 7,4. Pfeif­fer führt aus, dass die­ser bei gesun­den Men­schen nicht dau­er­haft unter­schrit­ten wird. Wenn man viel Säu­re erzeu­ge, etwa bei der Fett­ver­bren­nung, sei man zwar anschlie­ßend unter 7,4 – dies wür­de aber vom Kör­per sehr schnell wie­der kor­ri­giert.

Über­säue­rung ist kei­ne Ursa­che von Krank­hei­ten

Der Kör­per kann, der Schul­me­di­zin zufol­ge, mit zu viel Säu­re ins­ge­samt gut umge­hen. Rich­tig ist zwar, räumt Pfeif­fer ein, dass er sie im sau­ren Urin nur begrenzt aus­schei­det – aber ein gesun­der Mensch habe etwa 20Mal mehr freie Basen- als freie Säu­re­mo­le­kü­le im Kör­per und damit einen gewal­ti­gen Puf­fer, der vor Über­säue­rung schützt. Dass Säu­re die Ursa­che von Krank­hei­ten ist, wür­de daher kaum jemand in der Ernäh­rungs­wis­sen­schaft akzep­tie­ren. Auch der The­se der Alter­na­tiv­me­di­zin, dass Säu­ren sich im Bin­de­ge­we­be anrei­chern, und damit als Krank­heits­aus­lö­ser infra­ge kom­men, wird wider­spro­chen. Das Pro­blem sei, dass die­se The­se bis­lang nicht durch Mes­sun­gen belegt wor­den sei – daher stel­le sich die Fra­ge, wor­auf sich deren Befür­wor­ter beru­fen. Auch dass, wie ger­ne behaup­tet, Rau­chen und Bewe­gungs­man­gel zu erhöh­ter Säu­re­bil­dung bei­tra­gen, ver­neint Pfeif­fer, bei­des sei aber natür­lich schäd­lich.

Ernäh­rungs­aspek­te

Um einer Über­säue­rung des Kör­pers durch zu viel Fleisch und Zucker ent­ge­gen­zu­wir­ken, müs­se man weni­ger säu­re­bil­den­de Lebens­mit­tel essen und statt­des­sen mehr Obst und Gemü­se zu sich neh­men, lau­tet eine häu­fi­ge Emp­feh­lung der „Über­säue­rungs­frak­ti­on“. Dem ent­geg­net Pfeif­fer, dass sowohl Zucker als auch gesät­tig­te Fet­te nichts mit Säu­re zu tun haben. Das Pro­blem ist nach Ansicht des Ernäh­rungs­me­di­zi­ners ein­fach, dass wir zu viel essen und dass unge­sun­des Essen den Stoff­wech­sel belas­tet. Somit könn­ten soge­nann­te basi­sche Lebens­mit­tel den Kör­per auch nicht basi­scher machen. Gleich­wohl habe eine pflanz­li­che Ernäh­rung vie­le Vor­tei­le, aber nicht unbe­dingt den Vor­zug, den Säu­re-Basen-Haus­halt im Gleich­ge­wicht zu hal­ten. Gut sei­en vor allem Mikro­nähr­stof­fe, die der Stoff­wech­sel braucht, also Poly­phe­no­le, Sal­ze, Magne­si­um und Vit­ami­ne.

Die ganz­heits­me­di­zi­ni­sche Auf­fas­sung

Ganz­heit­li­che Medi­zin unter­schei­det sich von der Schul­me­di­zin unter ande­rem dadurch, dass sie auch die Natur­heil­kun­de mit­ein­be­zieht. Gemäß Ver­laut­ba­run­gen von medi­por­tal-online, das sei­nen Schwer­punkt in eben die­ser Fach­rich­tung hat, kommt eine Über­säue­rung des Blu­tes in der Tat sel­ten vor. Dass dies so ist, ver­dan­ken wir den (von Pro­fes­sor Dr. Pfeif­fer bereits ange­führ­ten) Puf­fer­sys­te­men im Orga­nis­mus. Die kli­ni­sche Mei­nung sei also inso­fern abso­lut nach­voll­zieh­bar.

Über­säue­rung ver­ur­sacht sehr wohl Krank­hei­ten

Bei dem Punkt, Über­säue­rung lie­fe­re kei­ne Krank­heits­ur­sa­chen, gehen die Über­zeu­gun­gen jedoch deut­lich aus­ein­an­der. Laut ganz­heit­li­cher Medi­zin muss das „Säu­ren-Stoff­wech­sel­end­pro­duk­te-Gemisch“ aus­ge­schie­den wer­den. Kommt es hier­bei zu Stö­run­gen, lagern sich Aus­schei­dungs­pro­duk­te in den Zel­len und auch dazwi­schen ab. Dar­aus erklä­ren sich Beschwer­de­bil­der, wie Rheu­ma, Schmer­zen in den Mus­keln, gestör­te Abwehr­la­gen, All­er­gien, aber auch All­ge­mein­sym­pto­me wie Müdig­keit und Abge­schla­gen­heit. Zudem besteht der Ver­dacht, dass die gefürch­te­ten Abla­ge­run­gen in den Blut­ge­fä­ßen, die mit Gefah­ren wie Herz­in­farkt und Schlag­an­fall ein­her­ge­hen, durch Über­säue­rung begüns­tigt wer­den. Über­säue­rung lie­fert aus natur­heil­kund­li­cher Sicht im Übri­gen ein wei­te­res Argu­ment für eine sport­li­che Betä­ti­gung. Anstren­gen­de kör­per­li­che Tätig­keit, aus­dau­ern­der Sport und auch Sau­na­gän­ge füh­ren dem­nach zum Aus­schei­den der Säu­ren über den Schweiß und den Atem. Und wei­ter: Ent­span­nungs­ver­fah­ren, wie Ener­gie­ar­beit, Medi­ta­ti­on und auto­ge­nes Training, beru­hi­gen nicht nur das Gemüt, son­dern ver­meint­lich auch den Säu­re-Basen-Haus­halt.

Ernäh­rungs­aspek­te

Kommt zur Abla­ge­rung der Aus­schei­dungs­pro­duk­te noch eine unge­sun­de säu­re­las­ti­ge Ernäh­rung dazu, wird der Effekt der Über­säue­rung gestei­gert, was schließ­lich zu ver­stärk­ten Krank­heits­sym­pto­men füh­ren kann. Dar­aus erklä­re sich bei­spiels­wei­se der Trug­schluss, einen Gicht­an­fall ein­zig und allein auf die Ernäh­rung zurück­zu­füh­ren. In der Regel sei es das Zusam­men­wir­ken der genann­ten Fak­to­ren, die zu die­sem Beschwer­de­bild füh­ren. Laut Natur­heil­kund­lern ist es gene­rell bes­ser, fett­arm zu essen. Außer­dem wäre es ange­ra­ten, bevor­zugt Lebens­mit­tel zu ver­zeh­ren, die sich im Orga­nis­mus neu­tral oder basisch ver­hal­ten. Das sind bei­spiels­wei­se Obst, Gemü­se sowie Kräu­ter und Samen.

Bewer­tung

Ob teil­wei­se nied­ri­ge pH-Wer­te ein Anlass dafür sein soll­ten, natur­heil­kund­li­che Über­le­gun­gen in sein per­sön­li­ches Vor­sor­ge­pro­gramm ein­flie­ßen zu las­sen, ist letzt­lich eine Glau­bens­fra­ge. Befür­wor­ter die­ser Auf­fas­sung sind zu wei­ten Tei­len jeden­falls auch Aka­de­mi­ker. Gegen die natur­heil­kund­li­chen Selbst­hil­fe­rat­schlä­ge sport­lich aktiv zu wer­den, bes­ser zu ent­span­nen und Genuss­mit­teln gegen­über skep­tisch zu sein, ist sicher nichts vor­zu­brin­gen. Beim fett­ar­men Essen und ob auch noch Basen­mit­tel wie Bull­rich-Salz oder Kai­ser-Natron zum Ein­satz kom­men soll­ten, schei­den sich dann wie­der die Geis­ter. Übri­gens: Wenn Sie ein­mal tes­ten möch­ten, ob Sie „über­säu­ert“ sind – uri­na­le Test­strei­fen gibt es in der Apo­the­ke.

Quel­le: shape UP fit­ness 6/19
Abbil­dung: hami­disc / shutterstock.com