Ultra Power

Haben Frau­en im direk­ten sport­li­chen Ver­gleich mit Män­nern die schlech­te­ren Kar­ten? Zuge­ge­ben, das stimmt bedau­er­li­cher­wei­se fast immer. Aber, aus­ge­rech­net, wenn es rich­tig hart wird, wen­det sich das Blatt.

In den meis­ten Sport­ar­ten kommt es auf­grund unter­schied­li­cher kör­per­li­cher Vor­aus­set­zun­gen gar nicht erst zum Clash der Geschlech­ter, da Frau­en sonst nie eine Chan­ce hät­ten, sich in die Sie­ger­lis­ten ein­zu­tra­gen. Ent­schei­dend für das weib­li­che Man­ko ist, dass es Ath­le­tin­nen im Geschlech­ter­ver­gleich an kraft­ma­chen­der Mus­kel­mas­se fehlt. Im Schnitt liegt deren Anteil am Kör­per­ge­wicht der Män­ner bei 38 Pro­zent, bei Frau­en sind es nur 31. Vor allem das Geschlechts­hor­mon Tes­to­ste­ron lässt Mus­keln wach­sen – man­che Frau erreicht hier nur ein Zwan­zigs­tel des Män­ner-Levels. Die Fol­ge: Die weib­li­chen Höchst­leis­tun­gen im Spit­zen­sport lie­gen etwa zehn bis zwölf Pro­zent unter denen der männ­li­chen. In spe­zi­el­len Fäl­len kann das Pen­del aber in die ande­re Rich­tung aus­schla­gen. Dabei lau­tet die Grund­re­gel: Willst du bes­ser sein als ein Mann, musst du ordent­lich Kilo­me­ter abspu­len.

Lan­ger Atem zahlt sich aus

Die Män­ner­do­mi­nanz endet bei Wett­be­wer­ben über extrem lan­ge Distan­zen. Dies ist schon dar­an zu erken­nen, dass bei­de Geschlech­ter hier gegen­ein­an­der antre­ten. Eine klas­si­sche Domä­ne sind dabei Ultra-Läu­fe. Bei ihnen wird ent­we­der die Mara­thon­di­stanz von 42,195 Kilo­me­tern über­bo­ten oder es geht dar­um, inner­halb einer bestimm­ten Zeit eine mög­lichst lan­ge Stre­cke zurück­zu­le­gen – als Mini­mum sind hier meist sechs Stun­den ange­setzt. Eine von den Lauf­schuh­tes­tern RunRepeat.com und der IAU (Inter­na­tio­nal Asso­cia­ti­on of Ultra Run­ners) initi­ier­te Stu­die 1) ana­ly­sier­te die Ergeb­nis­se von über 85 Pro­zent der welt­wei­ten Ultra­l­äu­fe, die zwi­schen 1996 und 2018 statt­fan­den. In die Aus­wer­tung kamen so mehr als 15.000 Ver­an­stal­tun­gen. Beim Durch­fors­ten der Daten­mas­se offen­bar­ten sich auch vali­de Zah­len über den Kampf der Geschlech­ter.

Wen­de­punkt bei drei eins vier

Haupt­er­kennt­nis: Je län­ger die Stre­cke, des­to mehr nähert sich die Per­for­mance von Frau und Mann an. Wäh­rend bei Mara­thon­läu­fen der Leis­tungs­un­ter­schied mit 11,1 Pro­zent genau inner­halb des oben genann­ten sta­tis­ti­schen Bereichs liegt, redu­ziert sich er sich bei Läu­fen ab 160 Kilo­me­tern Län­ge auf nur noch 0,25 Pro­zent. Der Schwel­len­wert liegt bei 314 Kilo­me­tern. Ab die­ser Mar­ke kehrt sich der Gen­der-Gap um, die Läu­fe­rin­nen erzie­len ten­den­zi­ell bes­se­re Leis­tun­gen als die Läu­fer. Bei­spiel gefäl­lig? Im Jahr 2019 erreich­te die 1983 gebo­re­ne bri­ti­sche Trail- und Ultra­l­äu­fe­rin Jas­min Paris mit einem neu­en Stre­cken­re­kord (gut 431 Kilo­me­ter in gut 83 Stun­den und 12 Minu­ten) beim nord­eng­li­schen Mon­ta­ne Spi­ne Race (Britain’s most bru­tal ultra run) als ers­te Frau in der Geschich­te des Events Platz eins im Gesamt­klas­se­ment.

Und wei­ter geht’s

Die Vor­tei­le von Frau­en bei Ultra­di­stan­zen beschrän­ken sich nicht nur auf Lauf­dis­zi­pli­nen. Auch beim Radeln und Schwim­men geht was. Fio­na Kol­bin­ger, eine 1995 gebo­re­ne Dresd­ner Ärz­tin, nahm eben­falls in 2019 als Ultra-Rad­renn­fah­re­rin am Trans­con­ti­nen­tal Race von Bul­ga­ri­en nach Frank­reich teil. Sie fuhr in zehn Tagen und knapp drei Stun­den mehr als 4000 Kilo­me­ter durch acht Län­der und kam als ers­te von 264 Teil­neh­men­den (cir­ca 85 Pro­zent Män­ner) an.

Ein­mal eine Bahn um Man­hat­tan zie­hen, ist auch eine gute Idee, wenn es dar­um geht Män­nern sport­lich in die Schran­ken zu wei­sen. Um die New Yor­ker Insel zu umschwim­men, müs­sen etwa 46 Kilo­me­ter bei unter 20 Grad Was­ser­tem­pe­ra­tur zurück­ge­legt wer­den. Das Gan­ze fin­det im Rah­men des „Man­hat­tan Island Mara­thon Swim“ statt, der als einer der här­tes­ten Frei­was­ser-Wett­kämp­fe der Welt gilt. Dass Frau­en hier die Nase vorn haben, ist amt­lich, wie eine Lang­zeit­stu­die 2) belegt. Die bes­ten von ihnen waren in der mehr­jäh­ri­gen Erfas­sungs­span­ne 12 bis 14 Pro­zent schnel­ler als ihre männ­li­chen Top-Kon­kur­ren­ten.

War­um sind Frau­en über Rie­sen­di­stan­zen so gut?

Das Frau­en mit stei­gern­der Kilo­me­ter­zahl auf­ho­len und schließ­lich gar die Nase vor­ne haben kön­nen, könn­te nach Anga­ben eini­ger Quel­len an der Mus­kel­fa­ser­ver­tei­lung lie­gen. Män­ner sol­len dem­nach im Schnitt einen höhe­ren Anteil von Mus­kel­fa­sern mit schnel­ler Kon­trak­ti­ons­ge­schwin­dig­keit (Fast Twitch Fasern) besit­zen. Die­se sind zwar hoch leis­tungs­fä­hig, ermü­den aber auch ver­gleichs­wei­se rasch. Frau­en sei­en hin­ge­gen bei lang­sa­men kon­tra­hie­ren­den Slow Twitch Fasern, die aus­dau­ern­der sind, im Vor­teil.

Gut abge­si­chert ist die Fest­stel­lung, dass Ath­le­tin­nen dazu ten­die­ren, ihre Kräf­te bes­ser ein­zu­tei­len – sie lau­fen von Natur aus gleich­mä­ßi­ger und kraft­spa­ren­der – ver­aus­ga­ben sich also weni­ger als Män­ner. Durch das Plus an Kon­stanz errei­chen Frau­en das Ziel bei ent­spre­chend lan­gen Wett­be­wer­ben dann oft schnel­ler. Auch wenn du nicht hun­der­te von Kilo­me­tern her­un­ter­reißt, kannst du einen Teil die­ser Vor­tei­le nut­zen. Spe­zi­ell von der Gabe der guten Kraft­ein­tei­lung kön­nen auch Hob­by­läu­fe­rin­nen pro­fi­tie­ren. Also nicht wie wild los­le­gen, son­dern mehr auf die inne­re Stim­me hören. Du wirst mit der gefühls­mä­ßi­gen Ein­schät­zung von Belas­tungs­in­ten­si­tä­ten wahr­schein­lich bes­ser fah­ren, als mit dem streng ratio­nel­len Abar­bei­ten irgend­wel­cher Vor­ga­ben.

Wei­te­re Tipps

Frau­en haben ein deut­lich klei­ne­res Herz und pum­pen daher pro Herz­schlag weni­ger Blut durch den Kör­per. Das glei­chen sie aus, indem ihr Herz schnel­ler schlägt. Das bedeu­tet, dass du auch in höhe­ren Puls­be­rei­chen trai­nie­ren darfst als Män­ner. Und schließ­lich: Begib dich ruhig mal in die Wild­nis. Der Kör­per­schwer­punkt liegt bei Frau­en eher im unte­ren, bei Män­nern eher im obe­ren Rücken (Sand­uhr vs. V‑Form). Die tie­fe­re Lage ist gut für Wen­dig­keit und Kör­per­ba­lan­ce – was dem Lau­fen auf Trails sehr ent­ge­gen­kommt. Wink­li­ge, kur­ven­rei­che Pfa­de wer­den von dir also stress- und belas­tungs­frei­er bewäl­tigt als von Män­nern.

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Quel­le: shape UP Ladies 5/2023