Zäu­ne ein­rei­ßen – Wirkt das Fit­ness­stu­dio gegen Ein­sam­keit?

Zäune einreißen – Wirkt das Fitnessstudio gegen Einsamkeit?

Neue­re Unter­su­chun­gen des Markt­for­schungs­in­sti­tuts Sple­ndid Rese­arch zei­gen: Über 43,7 Pro­zent der Deut­schen füh­len sich manch­mal (32 Pro­zent), häu­fig (9,8 Pro­zent) oder stän­dig (1,9 Pro­zent) ein­sam. Als eine gute Mög­lich­keit der per­sön­li­chen Kon­takt­auf­nah­me und ‑pfle­ge im eige­nen Vier­tel wird in ver­schie­de­nen Medi­en häu­fig das Fit­ness­stu­dio genannt. Wie hilf­reich ist die­ser Rat­schlag wirk­lich?

Wenn es um die Fra­ge geht, ob der Sport­club der rich­ti­ge Ort für Men­schen ist, die ihre Ein­sam­keit been­di­gen möch­ten, gelan­gen wir schnell zu der Fest­stel­lung, dass es hier sehr auf den Typ ankommt. Denn auch, wenn jemand von ver­gleichs­wei­se vie­len Men­schen umge­ben ist und mit ihnen sogar locke­re Kon­tak­te pflegt, ist das kei­ne Garan­tie dafür, sich nicht allein zu füh­len. Dr. Rebec­ca Now­land von der eng­li­schen Uni­ver­si­tät Man­ches­ter forscht unter ande­rem über die Ursa­chen und Gefah­ren von Ein­sam­keit. In einem ZEIT Cam­pus Inter­view mit Jana Luck äußert sie sich zu die­sem Phä­no­men. Jeder Mensch habe ein ande­res Bedürf­nis nach Häu­fig­keit und Tie­fe von sozia­len Bezie­hun­gen. Es gebe Men­schen, die sich wohl­füh­len, wenn sie mit vie­len ande­ren viel Kon­takt haben. Sie wür­den bei­spiels­wei­se gern auf gro­ße Par­tys gehen, wech­seln mit vie­len Arbeits­kol­le­gen ein paar Sät­ze, gin­gen mal mit die­sem, mal mit jenem Bekann­ten Kaf­fee trin­ken und wür­den sich den­noch fra­gen, war­um sie sich immer noch ein­sam füh­len. Des­we­gen sei es wich­tig, sich selbst zu beob­ach­ten und ehr­lich zu sich selbst zu sein. Wenn ich mir in einer gro­ßen Grup­pe von Men­schen ein­sam vor­kom­me – ist es viel­leicht wich­ti­ger für mich, mit nur eini­gen Men­schen Kon­takt zu haben, dafür aber sehr inten­si­ven. Den­noch ist dies kein Plä­doy­er gegen den Ver­such, es mal im Fit­ness­stu­dio zu ver­su­chen. Denn, so Now­land: „Jeman­dem, der ein­sam ist, wür­de ich eher raten, sich einem Ver­ein oder einer Grup­pe anzu­schlie­ßen, die ähn­li­che Inter­es­sen hat. Es ist wahr­schein­li­cher, Zufrie­den­heit und Ver­bun­den­heit in einer Freund­schaft zu fin­den, die von ähn­li­chen Inter­es­sen getra­gen wird“.

Dass es, wie bereits erwähnt, stark auf den Typ ankommt unter­streicht Now­lands Dia­gno­se, dass der regel­mä­ßi­ge Besuch eines Fit­ness­stu­di­os bezüg­lich der Ein­sam­keit auch kon­tra­pro­duk­tiv sein kann, näm­lich dann, wenn der Sport­club als Zeit­fres­ser und Ablen­kungs­ap­pa­rat fun­giert. Die „Gefahr“ besteht vor allem, wenn sich jemand voll und ganz den Zwän­gen unse­rer moder­nen Gesell­schaft unter­wirft. Denn das heu­ti­ge Leben bie­tet immer weni­ger Platz für gewach­se­ne Gemein­schaf­ten. Bei­spie­le: Man zöge öfter um als frü­her, ken­ne sei­ne Nach­barn nicht mehr wirk­lich, lebe nicht sel­ten weit ent­fernt von der Fami­lie und sei immer mit irgend­et­was beschäf­tigt. Gera­de bezüg­lich des letz­ten Punk­tes, kann die Mit­glied­schaft im Sport­stu­dio die eigent­lich erfor­der­li­chen Sozi­al­kon­tak­te sogar ver­hin­dern. O‑Ton Now­land: „Es ist gesell­schaft­lich aner­kannt oder sogar not­wen­dig, sich um sei­ne Gesund­heit zu küm­mern – wir machen Yoga, redu­zie­ren unse­ren Kör­per­fett­an­teil, schlu­cken Vit­ami­ne und trin­ken min­des­tens drei Liter Was­ser am Tag. Das alles ist wich­tig, aber min­des­tens genau­so wich­tig ist es, sich mit Men­schen ver­bun­den zu füh­len, die einem nahe­ste­hen. Dafür bleibt uns oft kei­ne Zeit mehr“.

Das regel­mä­ßi­ge Auf­su­chen eines Fit­ness­stu­di­os kann also, je nach Typ, so oder so wir­ken. Ganz ver­ein­facht gesagt: Wer bezüg­lich von Sozi­al­kon­tak­ten eher ein Zeit­pro­blem hat, kann sei­ne Ein­sam­keits­pro­ble­ma­tik mög­li­cher­wei­se ver­schär­fen – wer eher das Pro­blem hat, Gleich­ge­sinn­te zu fin­den oder neue Bekannt­schaf­ten zu machen, ist bei sport­li­cher Ver­an­la­gung im Fit­ness­cen­ter sicher bes­ser auf­ge­ho­ben als beim Jog­gen in der Step­pe.

Von pas­siv zu aktiv

Das Sport mit ande­ren hel­fen kann, Zäu­ne ein­zu­rei­ßen, wird auch in Insti­tu­tio­nen, die sich pro­fes­sio­nell mit der Gesund­heit beschäf­ti­gen, gese­hen. Die Betriebs­kran­ken­kas­se Mobil Oil lässt bei­spiels­wei­se in ihrem e‑Magazin „Mobil‑e“ ver­lau­ten, das im Fal­le gefühl­ter Ein­sam­keit, das sich zu Hau­se ver­krie­chen und dar­auf war­ten, dass einen jemand aus dem Schne­cken­haus holt, kei­ne Lösung sei. Im Gegen­teil: Ein sol­ches Ver­hal­ten mache die Situa­ti­on meist noch schlim­mer. Aktiv zu wer­den, kos­te zwar zunächst Kraft und ein wenig Mut, zah­le sich aber meist schnell aus. Fol­ge­rich­tig wird Ein­sa­men unter ande­rem dazu gera­ten, sich ein neu­es Hob­by zu suchen. Bei vie­len Frei­zeit­be­schäf­ti­gun­gen kom­me man unter Men­schen und schlie­ße viel­leicht sogar Freund­schaf­ten. Auch beim Sport fän­de man net­te Leu­te, mit denen man nach dem Training etwas trin­ken gehen kann. Hin­zu kommt, das der Kör­per bei Akti­vi­tät Glücks­hor­mo­ne aus­schüt­tet – allein des­halb loh­ne es sich, den inne­ren Schwein­hund zu über­win­den.

Erst­klas­si­ge Begeg­nungs­stät­te

Auch Ste­fan Mai­er vom Fit­ness­stu­dio „Sport Aktiv“ in Forch­heim, einer gro­ßen Kreis­stadt im Süden des baye­ri­schen Regie­rungs­be­zirks Ober­fran­ken, hält den Sport­club für eine erst­klas­si­ge Begeg­nungs­stät­te. Dort kön­ne man bei­spiels­wei­se, gut die Geschich­te ande­rer ken­nen­ler­nen. Durch die brei­te Palet­te an unter­schied­li­chen Cha­rak­te­ren bestün­de näm­lich eine idea­le Mög­lich­keit, sozia­le Kon­tak­te zu knüp­fen und zu pfle­gen. Man lernt Men­schen ken­nen, die viel­leicht die­sel­ben Ängs­te und Sor­gen wie man selbst hat­ten und jetzt begeis­ter­te Sport­ler sind, die ihre Hem­mun­gen abge­legt haben. Ziem­lich wahr­schein­lich sei auch die Zusam­men­kunft mit Men­schen, die ähn­li­che oder glei­che Zie­le wie man selbst ver­fol­ge. So bie­tet sich die Gele­gen­heit des gegen­sei­ti­gen Aus­tauschs über mög­li­che Wege aber auch Erfah­run­gen – und das eige­ne Erfah­rungs­le­vel und die Selbst­si­cher­heit wür­den im Lau­fe der Zeit somit immer grö­ßer und grö­ßer. Zu den zwi­schen­mensch­li­chen Vor­tei­len des Sport­clubs äußert sich Ralf Neu­haus aus Güters­loh, Sport­fach­kraft für die AOK NORD­WEST, wie folgt: „Das Fit­ness­stu­dio ist geeig­net, um neue Leu­te ken­nen­zu­ler­nen. Wer sei­ne fes­ten Trai­nings­ta­ge hat, wird sehr bald fest­stel­len, dass sich dort immer die glei­chen Leu­te tum­meln, mit denen man zwangs­läu­fig in Kon­takt kommt“. Und, da nicht alle gleich ticken, fügt er hin­zu: „Wer aller­dings lie­ber für sich allein trai­nie­ren möch­te, kann auch das im Fit­ness­stu­dio her­vor­ra­gend umset­zen“. Über­haupt rät der Exper­te Sport­freun­den, ganz unab­hän­gig vom The­ma Ein­sam­keit, es mal im Stu­dio zu ver­su­chen: „Indi­vi­du­el­les und zeit­lich unab­hän­gi­ges Training, dazu vie­le Varia­ti­ons­mög­lich­kei­ten – die Vor­tei­le lie­gen auf der Hand. Das gilt natür­lich auch für die zahl­rei­chen Kur­se. Die gut kli­ma­ti­sier­ten Stu­di­os schüt­zen zudem vor Hit­ze­wel­len, Wol­ken­brü­chen und Schnee­stür­men. Läu­fer kön­nen auch im Win­ter nach 17 Uhr ‚ihre Kilo­me­ter machen‘ – auf dem Lauf­band statt im dunk­len Wald. Regel­mä­ßi­ge Fit­ness­stu­dio­be­su­cher ken­nen und spü­ren die­se ganz spe­zi­el­le Atmo­sphä­re: Hier sind immer alle in irgend­ei­ner Form in Bewe­gung. Das steckt an. Da möch­te ich sofort auch selbst aktiv wer­den – und genau dar­auf kommt es an“.

Quel­le: shape UP fit­ness 3/19
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