Indi­vi­du­el­le Ernäh­rungs-Assess­ments

Vegan, Keto, glu­ten­frei, Low Carb usw. Der Ernäh­rungs­dschun­gel wird immer dich­ter und die Ver­wir­rung grö­ßer. Wel­che Ernäh­rung ist die bes­te? Die­se Fra­ge stel­len sich vie­le Men­schen und auch in der Wis­sen­schaft herrscht Unei­nig­keit. Häu­fig wer­den Ernäh­rungs­ent­schei­dun­gen eher aus ethi­scher Sicht getrof­fen oder basie­rend auf einer bestimm­ten Phi­lo­so­phie, als auf indi­vi­du­el­len Assess­ments. Dabei kann eines klar fest­ge­hal­ten wer­den: Es gibt nicht die eine rich­ti­ge Ernäh­rung für jeden und somit kei­ne pau­scha­le Ant­wort.

Ernäh­rungs-Assess­ments die­nen dazu, eine per­sön­li­che Ernäh­rungs­form zu fin­den, die die indi­vi­du­el­le Gesund­heit för­dert. Hier­zu gibt es ver­schie­de­ne Ansatz­mög­lich­kei­ten.

Die expe­ri­men­tel­le Her­an­ge­hens­wei­se

Der Mensch reagiert indi­vi­du­ell auf Lebens­mit­tel und ist gene­rell meta­bo­lisch sehr fle­xi­bel. Um her­aus­zu­fin­den, wel­che Nah­rungs­mit­tel gut ver­tra­gen wer­den und sich posi­tiv auf den eige­nen Stoff­wech­sel aus­wir­ken, gibt es zum einen eine expe­ri­men­tel­le Her­an­ge­hens­wei­se, die ver­schie­de­ne Mess­me­tho­den ein­be­zie­hen kann und zum ande­ren eine sub­jek­ti­ve Her­an­ge­hens­wei­se, die mehr auf der eige­nen Wahr­neh­mung basiert. Kör­per­tem­pe­ra­tur, Herz­fre­quenz und Blut­zu­cker sind drei gut geeig­ne­te Para­me­ter zur expe­ri­men­tel­len Bestim­mung der indi­vi­du­el­len Stoff­wech­sel­ant­wort auf Lebens­mit­tel.

Kör­per­tem­pe­ra­tur
Die Kör­per­tem­pe­ra­tur ist ein Mar­ker, der zur Bestim­mung der Stoff­wech­sel­ant­wort her­an­ge­zo­gen wer­den kann. Grund­sätz­lich soll­te die Kör­per­tem­pe­ra­tur nach dem Ver­zehr einer Mahl­zeit anstei­gen. Eine Grund­la­ge hier­für ist die nah­rungs­in­du­zier­te Ther­mo­ge­ne­se sowie die Akti­vie­rung des brau­nen Fett­ge­we­bes durch Mahl­zei­ten. Die dafür benö­tig­te Ener­gie wird in Form von Wär­me abge­ge­ben und lässt daher unse­re Kör­per­tem­pe­ra­tur stei­gen. Alle Makro­nähr­stof­fe lösen einen unter­schied­li­chen Ener­gie­ver­brauch aus. Bei Pro­te­inen beträgt die nah­rungs­in­du­zier­te Ther­mo­ge­ne­se ca. 20–30 %, Koh­len­hy­dra­te ver­brau­chen 5–10 % und Fet­te ledig­lich 3 %.
Koh­len­hy­dra­te las­sen die Kör­per­tem­pe­ra­tur oft stär­ker anstei­gen. Die Kör­per­tem­pe­ra­tur soll­te jedoch stets unab­hän­gig von der Zusam­men­set­zung der Mahl­zei­ten anstei­gen, d. h. dir soll­te warm nach dem Essen wer­den. Eine Tem­pe­ra­tur­ab­sen­kung hin­ge­gen deu­tet auf eine sub­op­ti­ma­le Ver­stoff­wech­se­lung der Nah­rung hin.

Herz­fre­quenz
Auch die Herz­fre­quenz ist eine Mög­lich­keit, die Reak­ti­on auf Lebens­mit­tel zu eva­lu­ie­ren. Grund­sätz­lich soll­te es so sein, dass die Herz­fre­quenz nach einer Mahl­zeit ansteigt. Hier­bei spielt weni­ger die Makro­nähr­stoff­zu­sam­men­set­zung eine Rol­le, son­dern eher die Grö­ße einer Mahl­zeit. Grö­ße­re Mahl­zei­ten bewir­ken einen grö­ße­ren Puls­an­stieg. Die Herz­fre­quenz erreicht ihren maxi­ma­len Anstieg ca. 30–60 Minu­ten nach Nah­rungs­auf­nah­me und kann bis zu zwei Stun­den erhöht sein.

Tem­pe­ra­tur und Herz­fre­quenz soll­ten stets zusam­men getrackt wer­den, da sie nur gemein­sam auf­schluss­rei­che Aus­kunft über die indi­vi­du­el­le Nah­rungs­ver­wer­tung geben. Aus nur einem der bei­den Para­me­ter Rück­schlüs­se zu zie­hen, ist wenig ziel­füh­rend.

Blut­zu­cker
Eine wei­te­re Mög­lich­keit des indi­vi­du­el­len Ernäh­rungs-Assess­ments ist die Blut­zu­cker­mes­sung. Die­se kann zusätz­lich zu Tem­pe­ra­tur und Puls durch­ge­führt wer­den oder auch allei­nig. Im Dia­be­tes­ma­nage­ment nicht weg­zu­den­ken, fin­det die Blut­zu­cker­mes­sung als Ernäh­rungs-Assess­ment nur wenig Beach­tung. Zu Unrecht, denn der Blut­zu­cker reagiert sehr indi­vi­du­ell und Blut­zu­cker­schwan­kun­gen wer­den oft nicht bemerkt. Um den Blut­zu­cker als Assess­ment zu nut­zen, soll­ten Nüch­tern­blut­zu­cker sowie die prä- und post­p­ran­dia­len Wer­te gemes­sen wer­den. Ein grund­le­gen­des Ziel die­ses Assess­ments ist es, Lebens­mit­tel bzw. Mahl­zei­ten zu iden­ti­fi­zie­ren, die eine Blut­zu­cker­ach­ter­bahn aus­lö­sen bzw. eine Blut­zu­cker­sta­bi­li­sie­rung bewir­ken. Ein mög­lichst kon­stan­ter Blut­zu­cker ist erstre­bens­wert. Eine umfas­sen­de und sehr ein­fa­che Blut­zu­cker­über­wa­chung bie­ten Lang­zeit­blut­zu­cker­mess­ge­rä­te, die bis zu 14 Tage lang Daten sam­meln. Die indi­vi­du­el­le Glu­ko­se­re­ak­ti­on soll­te immer vor dem Hin­ter­grund der jewei­li­gen Gesamt­si­tua­ti­on bewer­tet wer­den, da es noch wei­te­re Ein­fluss­fak­to­ren außer Nah­rung gibt.

All­ge­mei­ne Hin­wei­se zur Umset­zung

Die vor­ge­stell­ten Para­me­ter kön­nen eine gute Über­sicht, zur indi­vi­du­el­len Stoff­wech­sel­ant­wort lie­fern. Unab­hän­gig davon, wel­che Her­an­ge­hens­wei­se ver­wen­det wird bzw. wel­ches Test­ver­fah­ren, ist es unab­ding­bar, vor­ab eine Base­li­ne zu erstel­len, das Prin­zip des Test- und Re-Tests anzu­wen­den und auf eine ver­gleich­ba­re Test­um­ge­bung zu ach­ten.
Für die Base­li­ne-Erstel­lung von Tem­pe­ra­tur und Puls soll­ten bei­de Para­me­ter für min­des­tens eine Woche mor­gens, lie­gend im Bett, pro­to­kol­liert wer­den. Die Blut­zu­cker­mes­sung erfolgt nüch­tern. Wird der Re-Test nach der Nah­rungs­auf­nah­me häu­fig durch­ge­führt, so wird der Test vor dem Essen schnell ver­ges­sen. Hier kann eine Erin­ne­rung durch einen Wecker bzw. Timer gera­de zu Beginn Abhil­fe schaf­fen. Es ist essen­zi­ell, sowohl immer in Ruhe (sit­zend) zu mes­sen, als auch zu den glei­chen Zeit­ab­stän­den. z. B. 20 Minu­ten vorher/nachher für Tem­pe­ra­tur und Puls und 1, 2, oder 3 Stun­den nach einer Mahl­zeit für die Glu­ko­se­mes­sung. Nur so sind die Daten ver­gleich­bar. Hin­zu kommt die Doku­men­ta­ti­on der ver­zeh­ren Lebens­mit­tel und opti­ma­ler­wei­se auch des Kon­tex­tes. Zah­len für sich sind wenig aus­sa­ge­kräf­tig. Nur durch das zusätz­li­che Füh­ren eines (Ernährungs-)Tagebuches kön­nen die ermit­tel­ten Daten spä­ter auch rich­tig kor­re­liert wer­den. Um eine vali­de Ant­wort zu erhal­ten, soll­ten die Daten repro­du­zier­bar sein. Ein Ergeb­nis ist kein Ergeb­nis. Iden­ti­sche Nah­rungs­mit­tel bzw. Lebens­mit­tel soll­ten daher drei- bis fünf­mal eva­lu­iert und ver­gli­chen wer­den. Ins­be­son­de­re am Anfang kann es sinn­voll sein, ein­zel­ne Lebens­mit­tel indi­vi­du­ell zu tes­ten: eine Bana­ne, ein Glas Milch, einen Rie­gel oder was auch immer.

Prak­ti­scher Hin­weis

Die meis­ten Her­an­ge­hens­wei­sen sind sehr aus­führ­lich, neh­men Zeit in Anspruch und sind mit einem gewis­sen Auf­wand ver­bun­den. Es ist jedoch auch abso­lut mög­lich, ledig­lich ein­zel­ne Mahl­zei­ten zu eva­lu­ie­ren, z. B. Früh­stück, eine Zwi­schen­mahl­zeit oder nur das Abend­essen. Auch das lie­fert Ergeb­nis­se. Du musst also nicht sofort, „all in“ gehen und jede Mahl­zeit oder alle Lebens­mit­tel auf ein­mal tes­ten. Lass dir Zeit, denn eines ist beson­ders wich­tig: Ernäh­rungs-Assess­ments sol­len dir hel­fen, dich und dei­nen Kör­per zu ver­ste­hen und nicht zusätz­lich Stress aus­lö­sen.

Die sub­jek­ti­ve Her­an­ge­hens­wei­se

Alter­na­tiv kann daher auch die sub­jek­ti­ve Ein­schät­zung als Assess­ment genutzt wer­den. Dies nimmt weni­ger Zeit in Anspruch und besitzt auch die Mög­lich­keit, indi­vi­du­el­le Reak­ti­ons­mus­ter auf­zu­de­cken. Eine Vor­aus­set­zung für die erfolg­rei­che Anwen­dung ist aller­dings, dass eine kor­rek­te Inter­o­zep­ti­on vor­liegt. Nur bei einer guten Innen­wahr­neh­mung stellt das sub­jek­ti­ve Gefühl ein vali­des Assess­ment dar.

Fol­gen­de Bei­spiel­fra­gen kön­nen nach einer Mahl­zeit gestellt wer­den:
Wie satt bin ich?
Wie ist mei­ne Stim­mung?
Wie ist mei­ne Ener­gie?

Auch hier ist das Füh­ren eines Ernäh­rungs­ta­ge­bu­ches obli­ga­to­risch für Erfolg. Wich­tig hier­bei ist wie­der eine ein­heit­li­che Vor­ge­hens­wei­se. Stel­le dir die Fra­gen daher immer zur glei­chen Zeit nach einer Mahl­zeit, z. B. nach einer Stun­de. Für die Beant­wor­tung der Fra­gen hat sich eine Ska­lie­rung von 1 bis 3 bewährt. Dies bedeu­tet bei­spiel­haft für das Sät­ti­gungs­emp­fin­den: 3=satt, 2=neutral, 1=hungrig. Bei Bedarf ist auch eine detail­lier­te Ska­lie­rung von 1 bis 5 mög­lich.

Das pri­mä­re Ziel der Nah­rungs­auf­nah­me ist die Ener­gie­ver­sor­gung, bzw. phy­sio­lo­gi­schen Hun­ger zu stil­len. Ein­fach aus­ge­drückt: Essen soll satt machen und Ener­gie geben. Eine nicht-sät­ti­gen­de Mahl­zeit bzw. ein Leis­tungs­tief nach dem Essen sind stets sub­op­ti­mal. Dies gilt auch für ein Stim­mungs­tief nach dem Essen oder Abge­schla­gen­heit.

Ernäh­rungs-Assess­ments die­nen dazu, eine per­sön­li­che Ernäh­rungs­form zu fin­den, die die indi­vi­du­el­le Gesund­heit för­dert. Die oben beschrie­be­nen Para­me­ter bie­ten ver­schie­de­ne Ansatz­mög­lich­kei­ten. All­ge­mein gül­ti­ge Ernäh­rungs­re­geln gemäß dem Prin­zip „one fits all“ kann es nicht geben und sind nicht ziel­füh­rend.

Abbil­dung: Umpa­porn / shutterstock.com
Quel­le: shape UP 4/2022