Obwohl viele Menschen wissen, dass sie einen ungesunden Lebensstil haben, ist es gar nicht so einfach, das Verhalten zu ändern. Lebensstil-Coaches unterstützen diese Verhaltensänderung durch Programme, die verschiedene Aspekte aus Ernährung, körperlicher Aktivität, Stressmanagement und einer Mindsetänderung kombinieren. Um erfolgreich zu sein, sollte das Programm allerdings auf die individuellen Eigenschaften, Rahmenbedingungen, Präferenzen und Bedürfnisse der einzelnen Person abgestimmt sein.
Eine ungesunde Lebensweise mit Bewegungsmangel und einer ungesunden Ernährung begünstigen das Auftreten von Übergewicht und Fettleibigkeit. Mittlerweile kämpft mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland mit überschüssigen Pfunden und fast jeder Vierte ist adipös. Übergewicht und Fettleibigkeit gehen mit einem erhöhten Risiko für verschiedene Krankheiten wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einher. Darüber hinaus begünstigt Übergewicht das Auftreten von Arthrose und damit das Risiko für einen Gelenkersatz, selbst bei jüngeren Menschen. Aktuell gibt es daneben vermehrte Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Lebensstil, Übergewicht und dem Risiko für einen schwereren Verlauf durch eine COVID-19-Infektion. Umso mehr Gründe, die überflüssigen Pfunde loszuwerden.
Lebensstil als Medizin
Weltweit hat man inzwischen erkannt, dass sich Übergewicht und viele chronische Erkrankungen durch einen gesünderen Lebensstil positiv beeinflussen lassen. Unter „Lebensstil“ versteht man in diesem Kontext Gewohnheiten in der Lebensführung sowie tägliche Verhaltensweisen und Routinen (Ernährung, körperliche Aktivität, psychosoziale Faktoren), die unseren Organismus, Gesundheit und Vitalität beeinflussen. So zeigen aktuelle Studien, dass ein gesunder Lebensstil das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um fast 50 Prozent reduzieren kann. Neben diesen positiven gesundheitlichen Effekten hat eine Lebensstiländerung häufig auch andere positive Auswirkungen, zum Beispiel auf die körperliche Leistungsfähigkeit oder kognitive und psychische Verfassung. Kurz gesagt: Man fühlt sich einfach wohler, tatkräftiger und vitaler.
Personalisierte Programme sind notwendig
Es existieren inzwischen verschiedenste Lebensstil- und Abnehmprogramme, die allerdings nicht für alle Übergewichtigen gleichermaßen erfolgreich sind und lediglich bei einer kleinen Zahl der Betroffenen zu einer nachhaltigen Gewichtsabnahme führen. Warum die Wirkung dieser Programme auf den Einzelnen so unterschiedlich ausfällt, ist noch nicht hinreichend geklärt. Allerdings zeichnet sich immer mehr ab, dass grundlegende molekularbiologischen Prozesse, die Übergewicht begünstigen können, individuell sehr unterschiedlich sind. Daher werden personalisierte Programme benötigt, welche diesen biologischen Mechanismen besser gerecht werden.
Ganzheitlicher Ansatz
Diesen biologischen Prozessen versucht die Systembiologie auf den Grund zu gehen. Sie zielt darauf ab, die Wechselwirkungen zwischen Zellen und Organen unseres Körpers zu analysieren, um das System in seiner Gesamtheit zu verstehen. Aus systembiologischer Sicht werden Übergewicht und Adipositas dann auch eher als Symptom eines systemischen körperlichen Ungleichgewichts angesehen. Körpergewicht und Energiestoffwechsel werden durch komplexe Mechanismen reguliert, bei denen Stoffwechselprozesse, hormonelle Regulation, körperliche Konstitution, Ernährung und körperliche Aktivität eng miteinander verbunden sind.
Subtypen ermöglichen Personalisierung
Trotz der gemeinsamen Eigenschaft, übergewichtig zu sein, können sich Personen innerhalb dieser Gruppe in Bezug auf andere Eigenschaften wie physische, psychische oder emotionale Merkmale unterscheiden. So lassen sich Untergruppen von übergewichtigen Personen identifizieren, die gemeinsam haben, dass sie mehrere dieser Merkmale aufweisen. Die daraus resultierenden Patientenprofile (sogenannte Subtypen) ermöglichen dann ein auf die Charakteristiken des einzelnen Teilnehmers zugeschnittenes Programm.
Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) kennt einen ähnlichen ganzheitlichen Systemansatz für Übergewicht und Adipositas. Innerhalb der TCM wird Gewichtszunahme als Disharmonie innerhalb der einzelnen Körpersysteme betrachtet.
Das Programm
Ein aus den Niederlanden stammendes Lebensstilprogramm integriert Erkenntnisse aus der Systembiologie und der TCM, um unterschiedliche Subtypen für Übergewicht zu identifizieren, die jeweils einen gemeinsamen zugrundeliegenden Wirkmechanismus teilen. Von diesen fünf Subtypen stimmt jeweils ein Subtyp am besten mit den individuellen Charakteristiken der einzelnen Person überein. Aus praktischen Gründen werden die Subtypen durch fünf unterschiedliche Farben gekennzeichnet. So hängt beim blauen Subtyp die Gewichtszunahme hauptsächlich mit einem verminderten Stoffwechsel zusammen. Hierdurch können schwer verdauliche Lebensmittel nicht ausreichend verstoffwechselt werden. Der grüne Subtyp kennzeichnet sich vor allem durch einen starken Erschöpfungszustand des gesamten Systems und lässt sich unter anderem bei Menschen mit Burn-out finden. Beim gelb-orangenen Subtyp wird die Gewichtszunahme überwiegend durch chronischen Stress und einem damit einhergehenden erhöhten Cortisol- und Adrenalinspiegel verursacht.
Empfehlungen auf Basis des Subtyps
Abhängig vom jeweiligen Subtyp werden maßgeschneiderte Ernährungs- und Bewegungsempfehlungen gegeben und auch das Verhaltens- und Lebensstilcoaching wird an den jeweiligen Subtyp angepasst. So sollte zum Beispiel der grüne Subtyp erst wieder zu Kräften kommen und mehrere kleine Mahlzeiten pro Tag essen. Intensives Training wird für diesen Subtyp nicht empfohlen, sondern eher leichte körperliche Aktivität („bewegen, ohne zu schwitzen“). Darüber hinaus sollte der grüne Subtyp lernen, seine persönlichen Grenzen zu erkennen, um sich nicht weiter zu überlasten. Sobald das System „gestärkt“ ist und sich körperliche Symptome wie zum Beispiel Rückenschmerzen oder Ohrensausen bessern, verändert sich meist auch der Subtyp in Richtung blau oder gelb-orange. Ab diesem Moment werden auch die Ernährungsempfehlungen sowie das Coaching angepasst. Der Teilnehmer darf dann zum Beispiel auch intensivere Trainingsformen wählen. Beim blauen Subtyp zielt das Trainingsprogramm hauptsächlich auf die Verbesserung der Kraft und Kraftausdauer der Bein- und Armmuskulatur ab. Da beim gelb-orangenen Subtyp häufig eine Verkürzung der Muskulatur und Überbelastung der Sehnen auftritt, werden hier eher Dehn- und Stretch-Übungen empfohlen. Diese können auch explosiv ausgeführt werden, wie zum Beispiel beim Boxen.
Nachhaltige Verhaltensänderung
Um den Lebensstil nachhaltig zu verändern, ist es essenziell, dass die neuen gesünderen Verhaltensweisen auch zur jeweiligen Person passen. Daher werden im Rahmen des Coachings auch die persönlichen Rahmenbedingungen, Präferenzen und Bedürfnisse beachtet und kleine, erreichbare Ziele gesetzt. Darüber hinaus wird mithilfe eines Tests das persönliche Geschmacksprofil bestimmt, um die Lebensmittel- und Ernährungsempfehlungen weiter zu personalisieren. Auch das neue Bewegungsverhalten sollte zu den persönlichen Vorlieben und Rahmenbedingungen passen, wie etwa dem Ort, Zeitpunkt und Art der körperlichen Betätigung.
Pilotstudie zeigt Wirkung
Das Lebensstilprogramm wurde in den Niederlanden an 79 Teilnehmern mit Übergewicht wissenschaftlich evaluiert. Dabei zeigte sich eine hohe Zufriedenheit unter den Teilnehmern, niedrige Ausfallraten und positive Veränderungen des Lebensstils und der empfundenen Vitalität sowie eine Reduktion des Body-Mass-Index (BMI). Nun werden auch in Deutschland die ersten Coaches für dieses Programm ausgebildet, um zukünftig auch hierzulande die Pfunde purzeln zu lassen.
Abbildung: Freebird7977 / shutterstock.com
Quelle: shape UP 5/2021